#Persönlichkeitsentwicklung

Mensch ärger dich! Was uns unsere Ärgergefühle Wichtiges mitteilen

Mensch ärger dich! Was uns unsere Ärgergefühle Wichtiges mitteilen

Sowohl im Umgang mit anderen als auch im subjektiven Erleben ist Ärger ein unvermeidliches, aber auch sinnvolles Gefühl – wenn wir konstruktiv damit umgehen und es schaffen, es rasch wieder aufzulösen. Ragnhild Struss offenbart die positive Komponente der unerwünschten Empfindung.

Der Bus fährt uns vor der Nase weg, unsere Nachbarn machen um zehn Uhr abends Krach, eine Freundin bedankt sich nicht für unser Geschenk – die Situationen und Gründe, warum wir uns manchmal ärgern, sind so vielfältig wie wir Menschen. Ärger wird meist als unangenehm wahrgenommen und ist gesellschaftlich eher verpönt. Dabei erfüllen Ärgergefühle durchaus einen Zweck und wir können viel aus ihnen lernen – über unsere Werte, Grenzen und Bedürfnisse und was uns im Leben wichtig ist. Wie gelingt es uns, bestmöglich mit unserem Ärger umzugehen?

Ärger – was ist das eigentlich?

Ärger (oder Verdruss) steht für eine ganze Gruppe negativer Gefühle. Sie keimen meist als spontane Reaktion auf eine unangenehme oder unerwünschte Situation, Erinnerung oder Person auf, die unsere Selbsterhaltung oder Selbstentfaltung nach dem eigenen Empfinden gefährden oder gefährden könnten. Es kann sich um eine Kränkung unseres Selbstbilds, um eine Frustration, zum Beispiel die Nichterfüllung unserer Wünsche und Bedürnisse, oder um einen Verstoß gegen unsere Werte handeln. Je nach Intensitätsniveau drückt sich Ärger aus als Unbehagen bis hin zu sehr starken Formen wie Wut oder Rage. Für uns selbst ist das Empfinden von Ärger wichtig, weil es uns eine wahrgenommene Ungerechtigkeit signalisiert und uns die Energie zum Handeln bereitstellt. Aber auch kommunikativ betrachtet hat das Gefühl und dessen Ausdruck einen Sinn: Indem wir uns damit gegenseitig unsere Grenzen aufzeigen, hilft Ärger beim Aushandeln gemeinsamer Normen, Verhaltensregeln und Werte.

Dabei drückt sich Ärger – zusätzlich zu unserem psychischen Gefühl – deutlich messbar auf körperlicher Ebene aus. Es handelt sich um eine über den Sympathikus vermittelte Stressreaktion im Rahmen des sogenannten „Fight or flight“-Mechanismus: Bei Gefahr können wir entweder fliehen, wozu uns eher die Empfindung der Angst bringt, oder wir greifen an, und diesen Impuls löst meist das Gefühl von Ärger in uns aus. Stresshormone wie Adrenalin werden ausgeschüttet, unser Blutdruck, Puls und Atemfrequenz steigen, die Muskeln spannen sich an und die Immunabwehr wird kurzfristig herabgesetzt. Kommen wir infolge dieser Ausgangssituation tatsächlich ins Handeln, bauen sich die körperlichen Ärgersymptome meist innerhalb einer Stunde wieder vollständig ab. Problematisch wird es vor allem, wenn wir unseren Ärger lange aufrechterhalten (zum Beispiel durch wiederholtes Thematisieren des Ärgernisses) oder uns sehr oft sehr stark ärgern. Dann können viele verschiedene Bereiche des Körpers in Mitleidenschaft gezogen werden, zum Beispiel Magen und Verdauung, das Herz-Kreislauf- und Immunsystem sowie die Muskulatur.

Die positive Seite unseres Ärgers

Gerade in kollektivistischen Gesellschaften wie vielen asiatischen Kulturen gilt der Ausdruck von Ärger als möglicher Angriff auf die öffentliche Harmonie und somit als Gesichtsverlust. Aber auch in der westlichen Welt setzen der Anspruch auf Professionalität und das Ideal der Souveränität oder „Coolness“ voraus, dass Ärger nicht ungefiltert herausgelassen wird, sondern höchstens in sehr abgeschwächter Form und/oder nur im ganz privaten Kontext. Häufig hat das aber zur Folge, dass wir Ärger nicht konstruktiv verarbeiten oder adäquat dort ausdrücken, wo er hingehört, sondern ihn in uns hineinfressen. Daraufhin bringen wir ihn auf indirekte Weise zum Ausdruck, etwa durch passiv-aggressives Verhalten wie bewusstes Ignorieren anderer, Lästern, Intrigen, subtiles Boykottieren gemeinsamer Pläne und Projekte oder Handlungsverweigerung im Leistungskontext. Solches Verhalten wird als nicht-intendiert dargestellt, „Unschuld“ wird vorgetäuscht und löst als Konsequenz im anderen aggressive Gefühle aus, deshalb „passiv-aggressiv“. 

Warum ist Ärger aber eigentlich etwas Positives und wie können wir richtig auf diese Empfindung reagieren? Ärger kann als direktes Messinstrument unseres Empfindens für die eigene Selbsterhaltung und -entfaltung betrachtet werden. Er zeigt unsere subjektiv empfundenen Wertvorstellungen, unser (Un-)Gerechtigkeitsempfinden sowie unsere persönlichen Grenzen auf. Denken Sie an ein, zwei Situationen, die Sie geärgert haben. Wahrscheinlich wies Ihr Gefühl Sie darauf hin, dass Sie sich nicht so ausleben konnten, wie Sie sich das wünschen. Ihr Missfallen macht Ihnen deutlich, dass Sie sich für sich selbst stark machen müssen, sprich den entsprechenden Respekt einfordern, sich Ihre Handlungsmacht zurückholen, Grenzen aufzeigen, Bedürfnisse klarer äußern oder Ihr Werteverständnis verdeutlichen. 

In jedem Ärgermoment stecken immer jede Menge Informationen für und über uns selbst. Regen wir uns beispielsweise auf, dass unsere Freundin uns beim gemeinsamen Treffen wieder einmal zehn Minuten lang hat warten lassen, kann das auf ein von uns empfundenes Ungleichgewicht in der Beziehung hindeuten: Vielleicht fühlen wir uns in unserem Wert herabgesetzt, weil sie in unserer Wahrnehmung der Verabredung nicht genügend Wichtigkeit einräumt, oder ihr Zuspätkommen erinnert uns an andere Situationen, in denen wir das Gefühl haben, mehr in die Freundschaft zu investieren als sie. Ein anderes Beispiel verdeutlicht, warum Ärger eine wichtige Informationsquelle in Bezug auf die eigene Persönlichkeitsentwicklung ist – weil er eben auch auf unbewusste Schattenanteile in uns selbst hinweist: Wir halten eine Präsentation vor unseren Kollegen und jemand kommentiert im Nachhinein, man habe dabei nicht viel Neues gelernt. Empfinden wir nun großen Ärger darüber, kann das beispielsweise darauf hindeuten, dass wir selbst hohe Ansprüche an die Qualität unserer Arbeit setzen und der unbedachte Kommentar genau diesen Punkt berührt, der uns extrem wichtig ist, in dem wir vielleicht jedoch unsicher sind. Es ist auch möglich, dass wir es als ungerecht empfinden, dass der Kollege in unseren Augen weniger leistet, es sich aber herausnimmt, unser Werk zu kritisieren. Wann auch immer wir unseren Ärgergefühlen auf den Grund gehen, stoßen wir auf wertvolle Erkenntnisse, die wir zum Handeln nutzen können.

Genau das ist der entscheidende Punkt: Nur wenn wir unseren Ärger konstruktiv nutzen, indem wir auf irgendeine Weise Konsequenzen folgen lassen – und sei es auch nur, ihn nach bewusstem Wahrnehmen weiterziehen zu lassen –, dann erfüllt er seinen eigentlich sinnvollen Zweck und hilft uns auf unserem Weg weiter. Ärger energetisiert und aktiviert uns, für unsere Bedürfnisse, Werte und Grenzen einzustehen. Wichtig ist jedoch, seine Energie nicht in den nächstbesten Handlungsimpuls fließen zu lassen, der oft darin besteht, eine Person oder die Umstände im Außen dafür verantwortlich zu machen und uns mit Abwertung des Gegenübers dagegen zu wehren. Wir sollten dem Impuls, unbedacht zu kämpfen, widerstehen und stattdessen einen Raum zwischen der Empfindung und unserer Reaktion erschaffen, in dem wir uns Zeit zum Durchatmen und Reflektieren nehmen. Besonders hilfreich ist es hierbei, die Gedanken zu notieren. Alleine die sichtbare Manifestation des Ärgers schafft die nötige Distanz, um wieder klar über seine Ursachen nachzudenken. Welche unserer Werte wurden verletzt? Auf welche Weise wurden unsere Grenzen überschritten? Warum empfinden wir Ungerechtigkeit über etwas? Unterstellen wir dem Gegenüber eine böse Absicht, ohne genau zu wissen, ob die überhaupt vorlag? Regen wir uns eigentlich wirklich über den anderen auf, oder ist das wütende Gefühl im Grunde genommen Ausdruck einer Enttäuschung über uns selbst?

In einem zweiten Schritt sollten wir aus den Erkenntnissen sinnvolle Handlungsschritte ableiten, die das Grundproblem auflösen. Müssen wir vielleicht unserem Gegenüber (auf ruhige Art) mitteilen, welche Bedürfnisse oder Befürchtungen wir haben und auf welche Weise uns sein Verhalten kränkt? Sollten wir vielleicht eine durch das Außen verursachte Behinderung (wie einen Stau) nicht persönlich nehmen und uns für solche Situationen einen Alternativplan zurechtlegen, der das Unterbrechen unseres Flows weniger schlimm macht (zum Beispiel das Anhören eines spannenden Hörbuchs oder Podcasts)? Oder müssen wir etwas Grundlegendes in unserem Leben ändern – an unserem Job, unserer Beziehung oder unserer Lebensweise –, weil bestimmte wiederkehrende Ereignisse und Umstände uns ärgerlich machen und es in diesen Situationen nicht (mehr) möglich ist, etwas zum Positiven zu verändern? In einem solchen Fall zeigt wiederkehrender Ärger Ihnen an, dass Sie entweder in einer für Sie nicht passenden Situation gefangen sind oder Ihre Einstellung ändern müssten. Sind die passenden Handlungsschritte identifiziert, hilft uns unser Ärger als Antrieb, um unsere Lage zum Besseren zu verändern. 

Wie wir uns langfristig weniger ärgern

Sich hin und wieder zu ärgern, ist – wie beschrieben – normal und sinnvoll. Das ist jedoch kein Argument für ständiges Aufregen, denn jedes Mal handelt es sich dabei um eine Stressfunktion, die anstrengend für unser System ist. Noch besser, als konstruktiv mit seinem Ärger umzugehen, ist die Kultivierung eines authentischen – sprich an den eigenen Werten, Bedürfnissen und Einstellungen orientierten – Lebensstils und einer Einstellung, mit der wir uns gar nicht erst so häufig ärgern müssen. Die folgenden Maßnahmen helfen dabei.

  • Eigene Ärger-Muster erkennen und unterbrechen

Fällt Ihnen auf, dass Sie sich immer wieder über die gleichen Dinge aufregen? Dann lohnt sich ein prüfender Blick hinter dieses Muster besonders, damit Sie nicht ständig in die selbe Falle tappen. Denken Sie daran, dass Sie stets mindestens eines von zwei Dingen ändern können: Ihre Einstellung oder Ihre Situation. Prüfen Sie, was sich hinter Ihrem wiederholten Ärger verbirgt und welche der beiden Optionen Abhilfe schaffen würde. Ein häufiger Faktor sind unrealistische oder perfektionistische Erwartungen und Ansprüche an uns selbst oder andere: Regen Sie sich wieder und wieder auf, wenn Sie im Nachhinein trotz sorgfältiger Prüfung Tippfehler in Ihren Unterlagen finden? Sind Sie immer wieder enttäuscht, wenn Ihr Partner seine Kleidung auf dem Stuhl liegen lässt? Überlegen Sie, ob es realistisch ist, dass Sie bzw. andere Personen das Verhalten ändern – oder ob es hilfreich wäre, Ihre Erwartung anzupassen und die „Makel“ und Imperfektionen in sich und anderen großzügig anzunehmen. Nehmen Sie außerdem Ihre tiefsitzenden Glaubenssätze und Schattenanteile unter die Lupe: Welche Überzeugungen, „wie man sein sollte“, haben Sie verinnerlicht? Welche Verhaltensweisen oder Bewertungen erlauben Sie sich selbst nicht – und regen sich umso mehr bei anderen darüber auf? Echauffieren Sie sich beispielsweise immer wieder stark über Menschen, die sich das letzte Stück Kuchen nehmen, dann fragen Sie sich: Steckt dahinter meine Überzeugung, dass man immer bescheiden auftreten sollte? Wie komme ich auf diesen Glaubenssatz? Muss er für alle gelten, nur weil ich ihn für essentiell halte? Und: Bin ich vielleicht insgeheim neidisch auf Menschen, die sich diese Freiheit herausnehmen, und würde auch mal gerne ohne zu zögern zugreifen? Alleine schon die Erkenntnis, dass Ihr Ärger aus Ihrer subjektiven Bewertung entspringt, kann Sie langfristig entspannter mit Dingen umgehen lassen. 

  • Grenzen setzen und für sich selbst einstehen

Eine große Quelle von Ärger ist das mangelnde – und vor allem nicht rechtzeitige – Setzen und Aufzeigen unserer eigenen Grenzen. Laut der Psychologin Verena Kast entsteht Ärger vor allem dann, wenn andere über unsere Grenzen hinweggehen oder nicht zulassen, dass wir unsere Grenzen erweitern. Die ärgerlichen Gefühle helfen uns dann beim Erkennen, was falsch läuft, und sie verleihen uns Energie, etwas daran zu ändern. Wer sich häufig ärgert, sollte also dringend einen prüfenden Blick auf das Thema Abgrenzung in seinem Leben werfen. Fühlen Sie sich verpflichtet, anderen gegenüber gefällig zu sein und sie immer zu unterstützen, wenn sie um Hilfe bitten? Haben Sie Angst vor Streit und Disharmonie und lassen deshalb lieber andere entscheiden, wie gemeinsame Zeit verbracht wird? Verkaufen Sie sich unter Wert, sind aber unsicher, ob Sie mehr Gehalt verlangen können? Das alles sind Beispiele für ein zu gering ausgeprägtes Abstecken eigener Grenzen. Die Lösung: Zunächst müssen wir selbst unsere eigenen Grenzen überhaupt kennen und wahrnehmen. Schon dieser Schritt kann eine Herausforderung sein. Stellen Sie sich dazu folgende Fragen:

- Was ist mir wichtig?
- Welche Bedürfnisse und Präferenzen habe ich?
- Wie würde ich gerne leben, wenn ich mich nur nach mir richten würde?
- Welche wertvollen Fähigkeiten bringe ich – privat oder beruflich – mit?
- Wann sage ich „ja“, obwohl ich eigentlich „nein“ meine? Warum?
- Was würde ich gerne tun – unabhängig davon, wie man sich meiner Meinung nach verhalten sollte?

Die regelmäßige Reflexion darüber lässt Sie mit der Zeit klarer erkennen, wo Ihre persönlichen Grenzen liegen – und entsprechend, wo andere sie überschreiten. Machen Sie es sich zur Aufgabe, für Ihre eigenen Bedürfnisse einzustehen, indem Sie sie kommunizieren und wenn nötig „nein“ sagen und sich gegenüber anderen abgrenzen. Weisen Sie andere auf Grenzüberschreitungen hin, zum Beispiel „Es war mir unangenehm, als du vor den Kollegen die peinliche Geschichte über mich erzählt hast.“. Informieren Sie sie vorab schon über Ihre Grenzen, zum Beispiel „Mich interessiert Fußball nicht, deshalb werde ich dich nicht regelmäßig ins Stadion begleiten.“. Und machen Sie sich klar: Oft gehen wir davon aus, dass andere unsere Abgrenzung negativ auffassen würden – während dies fast nie tatsächlich der Fall ist! Im Gegenteil: Sie werden für andere greifbarer und bekommen mehr Konturen, wenn diese Ihre Grenzen kennen.

Fazit

„Der Ärger ist als Gewitter, nicht als Dauerregen gedacht; er soll die Luft reinigen und nicht die Ernte verderben.“
(Ernst R. Hauschka)

Es ist weder gesund, unsere Gefühle des Ärgers komplett zu unterdrücken, noch sie unflektiert gegen andere zu richten oder sie immer wieder anzufachen. Bei einem klugen Umgang mit Ärger ist er ein sinnvolles Tool für uns, um unser Leben mehr so zu gestalten, wie es uns guttut. Und dazu gehört auch, die richtigen Bedingungen zu schaffen, unter denen wir gar nicht mehr erst so häufig so ärgerlich werden. 

 

Die wichtigste Grundlage für beruflichen Erfolg und persönliche Zufriedenheit bildet eine Lebensführung in Übereinstimmung mit Ihrer Persönlichkeit. Sie zu kennen, ist der erste Schritt. Mit unserem kostenfreien Schnuppertest bieten wir Ihnen die Möglichkeit, ihn zu gehen und einen ersten Einblick in Ihr Inneres zu erhalten.

 

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