#Persönlichkeitsentwicklung

Erwartungen und Enttäuschungen: Was wir von ihnen lernen können

Erwartungen und Enttäuschungen: Was wir von ihnen lernen können

Wer immer wieder zu hohe Erwartungen an sich und andere stellt, wird mit dem Gefühl von Enttäuschung zu kämpfen haben: Je höher und unrealistischer unsere Erwartung, desto größer die Wahrscheinlichkeit, enttäuscht zu werden. Ragnhild Struss fragt sich: Wie können wir gegen diese selbstgebaute Falle anarbeiten? Muss man radikal alle Erwartungen fallen lassen oder gibt es andere Möglichkeiten? 

Manchmal erwarten wir einfach zu viel. Von anderen, von uns selbst, vom Leben. Der Job, der die hundertprozentige Erfüllung bringen soll, eine Partnerschaft, die ohne Konflikte auskommt, eine Karriere, die immer steil nach oben führt, ein Körper, der nicht altert und niemals krank wird. Wunsch und Wirklichkeit liegen bei diesen Beispielen so weit auseinander, dass eine derart extreme Anspruchshaltung unweigerlich zu Enttäuschung führt, die nicht selten in Motivationsverlust, pessimistischem Denken und Verringerung des Selbstwertes münden. Doch was können wir tun, wenn wir immer wieder an hohen Erwartungen scheitern? Wie gelingt ein gesünderer Umgang – mit unseren eigenen Erwartungen und mit den Erwartungen anderer? Und schließlich soll geklärt werden, wieso Enttäuschungen kein Drama sein müssen, sondern die Chance für persönliche Entwicklung bereithalten.

Ein unzertrennliches Paar: Erwartungen und Enttäuschungen

Laut Psychologie-Lexikon versteht man unter Erwartungen „Kognitionen, die in unseren Person-Umwelt-Interaktionen häufig vorkommen und auch Auswirkungen auf weitere psychische Prozesse haben. Sie drücken die Vorwegnahme von oder auch die Vorausschau auf künftige Ereignisse aus und implizieren oft eine Wahrscheinlichkeitseinschätzung ihres Eintretens“. Erwartungen sind demnach Vorstellungen, Annahmen oder Wünsche, wie etwas oder jemand zu sein hat, ein in Stein gemeißeltes Bild der Zukunft auf Basis der eigenen Auffassungen von richtig und falsch. Ihnen zugrunde liegen innere, oft unbewusste Überzeugungen und Annahmen über uns selbst, andere und die Welt. Häufig erkennbar daran, dass Menschen erwarten, andere sollten genauso handeln, wie sie selbst es in gleicher Situation tun würden.

Wo es eine unberechtigte oder überzogene Erwartung gibt, ist ihr Gegenspieler, die Enttäuschung, nicht weit. Diese ist wörtlich genommen das Ende einer Täuschung: Ent-täuschung. Es gab also eine gewisse Vorstellung davon, wie etwas, jemand oder wir selbst sein sollten, und diese Vorstellung erwies sich als falsch – als eine Täuschung – ist der andere doch ganz anders. Im Moment der Enttäuschung wird uns bewusst, dass die Realität von unserer (Wunsch-)Vorstellung abweicht. Je höher die Erwartung, desto größer die Diskrepanz zwischen Vorstellung und Realität, desto größer die Enttäuschung bei Nichterfüllung. Beispielsweise, wenn wir dachten, die Bewerbung auf eine neue Position sei von Erfolg gekrönt, der Vortrag im Team würde Applaus ernten, die Kollegin wüsste unser Engagement zu schätzen, die Vorgesetzte würde Dankbarkeit ausdrücken, nur um dann festzustellen, dass es anders läuft, als wir uns vorgestellt haben. Dass im Postfach eine Absage wartet, unser Vortrag eher Durchschnitt war, die Kollegin unseren Einsatz nicht bemerkt und die Vorgesetzte unsere Arbeit offensichtlich für selbstverständlich erachtet. Diese Erkenntnis geht oft mit Gefühlen von Frust, Wut oder Traurigkeit einher, Emotionen also, die wir als unangenehm und schmerzvoll empfinden. Doch sie helfen uns, Erwartungen zu erkennen und kritisch zu hinterfragen.

Woher kommen die Erwartungen?

Wichtig hierbei ist die Frage: Woher kommen die Erwartungen an uns selbst eigentlich? Sind es wirklich die eigenen Annahmen, die uns hier steuern, oder versuchen wir vielleicht, etwas zu erfüllen, was von außen an uns herangetragen wird? Oder handelt es sich um gesellschaftlichen Perfektionismus, also etwas, von dem wir unterstellen, dass es jemand erwarten könnte? Wenn wir den Eindruck haben, dass zu viel von uns erwartet wird, kann es sein, dass unser Gegenüber tatsächlich einen überzogenen Anspruch hat. Oft handelt es sich allerdings auch um eigene, auf andere projizierte Erwartungen. Deswegen fragen Sie sich: Erwartet mein Partner wirklich von mir, dass ihm alle Wünsche von den Augen ablese? Erwarten meine Mitarbeiter*innen tatsächlich, dass ich rund um die Uhr für alle ansprechbar und präsent bin?

Häufig liegen verinnerlichten Wünschen, Zielen und Erwartungshaltungen festgefahrene und nicht mehr infrage gestellte Vorstellungen zugrunde, die in unserer Kindheit verankert wurden. Eltern, Lehrer*innen oder enge Bezugspersonen haben großen Einfluss darauf, was wir glauben, wie „man“ zu sein hat, was „man“ erreichen soll, was erwünscht und was verpönt ist. Sie prägen unsere Vorstellungen von der Wirklichkeit und unser Bild von uns selbst. Auch hier lohnt es sich, genauer hinzusehen, denn manchmal liegt das permanente Gefühl des Scheiterns oder Nicht-genug-seins an überzogenen Erwartungen anderer, die wir in der Kindheit gelernt bzw. ungefiltert übernommen haben und die uns noch im Erwachsenenalter steuern. 

Wir sollten uns selbst fragen: Was ist es eigentlich, was ich hier erwarte? Meist lautet die Antwort, dass wir davon ausgehen, andere Menschen würden genauso fühlen, denken, handeln, wie wir selbst – oder zumindest sollten sie es unserer Meinung nach. Darin zeigt sich der Wunsch nach Gleichheit, nach „du bist wie ich“. Jede Abweichung von unserem Empfinden, wenn jemand auch nur an einem Punkt anders denkt, fühlt oder handelt, als wir selbst es tun oder an seiner Stelle getan hätten, wird als etwas Trennendes erlebt, eine empfundene Andersartigkeit, die schmerzhaft sein kann. Indem wir unser eigenes Verhalten zum Maßstab erheben, unterstellen wir allerdings auch, dass wir diejenigen sind, die es richtig machen, die wüssten, wie es geht. 

In diesen Momenten sollten wir uns daran erinnern: Menschen sind unterschiedlich. Jeder hat ganz eigene, individuelle Vorstellungen und Erwartungen, weshalb bei jedem unterschiedliche Situationen oder Verhaltensweisen zu Enttäuschungen führen können. Manche Persönlichkeitseigenschaften erhöhen die Anfälligkeit für das Gefühl, enttäuscht zu werden – vorausgesetzt, die eigene Erwartung wird nicht reflektiert. Hierzu zählen u.a. sehr perfektionistische, ehrgeizige oder aufopfernde Personen.

Perfektionist*innen beispielsweise streben nicht nur nach dem hundertprozentigen Ergebnis, sie haben auch eine konkrete Vorstellung davon, wie etwas oder jemand zu sein hat – die Idealversion des Meetings, des Berichtes, der Geburtstagsfeier oder des Partners existiert bereits, und zwar im eigenen Kopf. Diesen Anspruch an die Realität als Erwartung an andere zu richten, führt bei diesen zu Überforderung und bei Perfektionist*innen selbst zu permanenten Enttäuschungen, weil für sie nur eine totale Übereinstimmung mit ihren Vorstellungen zufriedenstellend wäre und diese Erwartung kaum zu erfüllen ist. Ähnliches gilt für sehr ehrgeizige Menschen, die von anderen denselben Einsatz und Fleiß erwarten, den sie selbst bei ihren Vorhaben an den Tag legen.

Wenn Menschen zu Ängsten und Unsicherheiten neigen, dient ihnen die konkrete Vorstellung von der Zukunft als Versuch, das Gefühl von Kontrolle und Sicherheit herzustellen. Sie halten an ihrer Planung und ihrer Vision von der Zukunft fest, um die Angst im Zaum zu halten. Damit ihnen das gelingt – so ihre Erwartung – müssen sich auch alle Personen aus ihrem Umfeld an die eigenen Pläne halten. Geschieht das nicht, droht Enttäuschung und die Konfrontation mit Unsicherheitsgefühlen. 

Ist in der Persönlichkeit ein starker Helferdrang angelegt, führt dies nicht nur dazu, dass Menschen sich, oft über ihre eigenen Grenzen hinweg, für andere aufopfern, sondern gleichzeitig ist damit eine Erwartungshaltung an diejenigen verbunden, denen geholfen wird, beispielsweise, dass diese in derselben Weise ihre Wünsche erfüllen oder Hilfe anbieten. Das Mindeste aber, was sie erwarten, ist Dankbarkeit als Gegenleistung für den aufopfernden Einsatz. Das gilt auch, wenn ihre Hilfe gar nicht gefragt oder gewollt war. Bleibt dann die Anerkennung aus, sind Helfende – oft im Stillen – enttäuscht und fühlen sich nicht gesehen in ihrem gut gemeinten Versuch, Freunde, Familie oder Kolleg*innen zu unterstützen.

Ebenso kann es bei sehr planenden und analytisch denkenden Menschen bereits zu Enttäuschungen führen, wenn ihr Gegenüber sich – vermeintlich kopflos – in die nächste Aufgabe stürzt, ohne vorher alles im Detail durchdacht zu haben. Hier liegt die Lösung in einer Analyse der eigenen, automatisch anspringenden Erwartung an andere. Wird uns bewusst, worin unsere Erwartung liegt, welche Anforderung wir an unser Umfeld stellen, können wir lernen, einen realistischeren Umgang mit den eigenen Erwartungen und möglichen Enttäuschungen zu entwickeln. 

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Erwartungsmanagement betreiben

Nicht nur privat, sondern auch beruflich werden Erwartungen zunehmend höhergeschraubt. Beim Gedanken der Gewinnmaximierung sind hohe Erwartungen von „immer das Beste“ sowie „weiter, schneller, mehr“ programmiert – an sich und an andere. Durch die New-Work-Bewegung soll die tägliche Arbeit mehr bieten als bloß das Konto für den Lebensunterhalt zu füllen. Immer mehr Arbeitnehmer*innen erwarten von ihrem Job Sinnstiftung und die Möglichkeit zur Selbstentfaltung, sie wünschen sich Flexibilität und Agilität in der Arbeitsgestaltung sowie Entwicklungschancen innerhalb des Unternehmens. Besonders deutlich zeigt sich dieser Anspruch bei der jungen Generation Z, die noch frisch auf dem Arbeitsmarkt ist und mit selbstbewussten Forderungen an ihre Arbeitgeber herantritt. Gleichzeitig wächst der Anspruch innerhalb der Unternehmen, sowohl an ihre Mitarbeiter*innen als auch an die Organisation: Es gibt immer mehr, die sich selbst als „purpose-driven organizations“ bezeichnen: angetrieben von einem Zweck, der nicht die reine Gewinnmaximierung anstrebt, sondern Sinn und einen höheren Wert für die Gesellschaft stiften will. Das sind extreme Erwartungen auf allen Seiten – was zumindest manche Enttäuschung wahrscheinlich macht.

Wer schnell und oft mit Enttäuschungen zu kämpfen hat, kann an seinem eigenen Erwartungsmanagement arbeiten. Fragen Sie sich: Ist es realistisch, was ich hier erwarte? Ist es angemessen, was ich mir von anderen wünsche? Sind meine Ansprüche berechtigt? Welchen Maßstab lege ich zugrunde? Und wie realistisch ist es, dass jemand alle meine Erwartungen erfüllt? Diese Fragen können einen Reflexionsprozess in Gang setzen, der uns zu einem gesünderen Blick auf uns selbst und andere führen kann. Denn in den Erwartungen, die wir selbst an die Außenwelt und unsere Mitmenschen stellen, zeigt sich häufig sehr deutlich, welche – oft überzogenen – Ansprüche wir uns selbst gegenüber haben und wie hart unser Urteil im Umgang mit den eigenen Unzulänglichkeiten ausfällt. Im Spiegel der anderen erkennen wir die Erwartungshaltung gegenüber uns selbst. Wer sehr tief gehen möchte, kann sich fragen, welchen Zweck es in der Beziehungsdynamik erfüllt, das Gegenüber ständig an den eigenen Erwartungen scheitern zu lassen. Das Gefühl von „der andere genügt mir nicht“ verhindert echte Nähe und lässt den Erwartenden – obgleich enttäuscht – auch mit einem gewissen Überlegenheitsgefühl zurück. Überzogene Erwartungen erfüllen in diesem Sinne eine gewisse Kontrollfunktion, sie verhindern echte Hingabe und Beziehungsgestaltung auf Augenhöhe.

Wenn wir zu hohe Erwartungen an andere haben, kann das bei unserem Gegenüber Druck erzeugen und das Gegenteil von dem bewirken, was wir eigentlich erreichen wollen. Der Druck kann, im Wortsinn, erdrücken – oder lähmen, zu Rückzug und Ausstieg aus der Beziehung führen. Dasselbe gilt für die Erwartungen an uns selbst, unsere Leistung, unser Leben. Wenn die Ansprüche so hoch liegen, dass wir sie kaum erfüllen können, führt das zu permanenten Misserfolgserlebnissen und dem Empfinden, niemals gut genug zu sein, sich immer mehr anstrengen zu müssen und das Ziel trotzdem nie zu erreichen. Die Lösung liegt in der Anpassung unserer Erwartungen – zunächst an uns selbst und dann an die Umwelt. Diese Anpassung und Reflexion von überzogenen Erwartungen bedeutet allerdings nicht, dass wir jegliches Verhalten unseres Gegenübers akzeptieren oder uns von sämtlichen Vorstellungen eines wünschenswerten Verhaltens verabschieden sollten. Selbstverständlich dürfen wir uns im Umgang miteinander grundlegende Werte, wie z. B. Respekt und Würde, oder auch gesellschaftliche Konventionen, wie z. B. Höflichkeit oder Pünktlichkeit, wünschen und erwarten.

Ambiguitätstoleranz entwickeln

Im Umgang mit den Erwartungshaltungen anderer an uns selbst ist es hilfreich, eine stabile Ambiguitätstoleranz zu entwickeln. Sie bezeichnet die Fähigkeit, Uneindeutiges, Mehrdeutiges oder Widersprüchliches zu ertragen, ohne sofort mit Ausweichen oder Ablehnung zu reagieren. Auf Erwartungen anderer bezogen beschreibt sie das Maß, in dem jemand mit der Diskrepanz an unterschiedlichen Erwartungen – denen der anderen und den eigenen – umgehen kann. Wer beispielsweise eine hohe Führungsposition bekleidet, sieht sich tagtäglich widersprüchlichen Anforderungen ausgesetzt, die es auszuhalten gilt. Um in solch unsicheren Situationen oder der Konfrontation mit widersprüchlichen Erwartungshaltungen handlungsfähig zu bleiben und gute Entscheidungen treffen zu können, ist Ambiguitätstoleranz und damit auch die Fähigkeit, sich von unterschiedlichen Außen-Erwartungen zu distanzieren, unabdingbar.

Enttäuschung als Chance

Das Problem bei Erwartungen liegt im Grunde darin, dass sie zu wenig hinterfragt werden, die Energie stattdessen in den Umgang mit der Enttäuschung investiert wird. Vielleicht gab es in uns einmal die Vorstellung, dass wir niemals altern, immer gleichbleibend leistungsfähig sein und eines Tages neben einer beachtlichen Karriere auch noch eine glückliche Familie, einen großen Freundeskreis, ein Haus mit Garten, Vermögen auf der Bank und mindestens einen Beitrag zur Verbesserung der Welt vorzuweisen hätten. Während sich nun die Realität anders gestaltet und eventuell nicht im Geringsten an unsere einstige Idealvorstellung heranreicht und – verglichen damit – ernüchternd scheint. Doch in dieser Enttäuschung verbirgt sich eine wunderbare Chance: die Chance nämlich, alte Vorstellungen zu hinterfragen und unser Selbstbild zu aktualisieren. Brauchen wir wirklich all das, was wir doch nicht oder noch nicht erreicht haben und wovon wir enttäuscht sind? Sind es diese Dinge, an die sich unser Glück hängt? Oder gibt es andere Möglichkeiten, wie wir das Leben zu unserer Zufriedenheit gestalten können? So können wir die Enttäuschung nutzen, um neue, erreichbarere Ziele zu entwickeln, Chancen im Hier und Jetzt zu sehen. Und einen Blick auf uns Selbst, der unserem wahren Ich näherkommt. Liebevoll, authentisch und in dem Sinne erleichternd.

Im zweiten Teil dieses Artikels erfahren Sie, welche Tipps und Sichtweisen helfen können, mit Erwartungen besser umzugehen und unnötige Enttäuschungen zu vermeiden. 

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