Handlungsfähig im Wandel

von Anna Schmitz
Handlungsfähig im Wandel: Warum Entscheidungen schwerfallen und wie das Bewusstsein darüber sie leichter macht
Wer keinerlei Sorge vor den Konsequenzen seines Handelns hätte, hätte vermutlich keine Schwierigkeiten beim Entscheiden – wohl aber mit übereilten Entscheidungen. Umgekehrt gerät, wer versucht, sämtliche Auswirkungen bis ins letzte Detail zu durchdringen, leicht in Entscheidungsblockaden: Der Wunsch nach völliger Sicherheit lähmt den Handlungsimpuls.
Die Fähigkeit, tragfähige Entscheidungen zu treffen, basiert daher auf einem ausgewogenen Zusammenspiel zwischen einer bewussten Reflexion möglicher Folgen und einer gewissen Toleranz gegenüber den Unsicherheiten, die sich nie vollständig ausräumen lassen.
Nur wer bereit ist, innerhalb dieser Unsicherheit Verantwortung zu übernehmen, bleibt entscheidungsfähig. Was den daraus entstehenden Entscheidungsspielraum deutlich vergrößert, ist die eigene Resilienz, also die Überzeugung mit möglichen Unwägbarkeiten oder sogar Rückschlägen einen guten Umgang zu finden. Vielleicht sogar daran zu wachsen.
Entscheidungen sind, abgesehen davon wie leicht oder schwer sie einem fallen, ein hoch komplexer Vorgang und können dadurch schnell zu einem schwierigen Unterfangen werden. Sie entstehen aus dem Zusammenspiel von inneren Veranlagungen, emotionalen Zuständen, Beziehungssystemen und äußeren Bedingungen. Gerade bei komplexen, biografisch relevanten Entscheidungen ist es daher hilfreich, sich des Geflechts unterschiedlicher Einflussfaktoren bewusst zu werden.
Diese Faktoren beeinflussen deine Entscheidung
Intrapersonelle Faktoren
- Persönlichkeitsmerkmale: Inwiefern steht die Entscheidung im Einklang oder Widerspruch zu dir ganz persönlich? Zu deiner Risikobereitschaft, deiner Selbstkontrolle, deiner Art und Weise, wie du dich in Beziehungen verstehst, zu deinem Interesse und deinem Energieniveau? Je besser eine Entscheidung zu dir als Mensch passt, desto nachhaltiger ist sie getroffen.
- Emotionale Zustände: Wer hoch euphorisiert ist, trifft Entscheidungen anders, als jemand mit einer depressiven Verstimmung. Stehst du aktuell unter einem emotionalen Einfluss, der deine Entscheidung beeinflussen könnte? Überprüfe, ob dieser mit der Entscheidung zu tun hat. Wenn nicht, solltest du die Entscheidung erst dann treffen, wenn deine Entscheidung nicht mehr durch deinen emotionalen Zustand verzerrt wird.
- Lebensmotive und Werte: Verfolgst oder gefährdest du Werte und Lebensmotive wie Leistung, Wachstum, Sicherheit, Unabhängigkeit, Beziehung oder Selbstfürsorge? Ist eine Entscheidung inkongruent zu den eigenen Werten, stellt sich ein Störgefühl ein. Diesem solltest du nachgehen. Besonders knifflig wird es, wenn eine Entscheidung zwei der eigenen Werte in unterschiedlichen Richtungen betrifft (Der Schritt, sich selbstständig zu machen stärkt den Wert der Unabhängigkeit und gefährdet den Wert der Sicherheit). Hier lohnt es sich, lang- und kurzfristige Bedürfnisse abzugleichen.
- Selbstkonzept und Selbstwirksamkeit: Trägt die Entscheidung dazu bei, dass du als die Person verstanden wirst, die du bist? Fühlst du dich in der Lage, die Konsequenzen, die sich aus deiner Entscheidung ergeben, zu erfüllen? Unsicherheit könnte zum Beispiel entstehen, wenn dein beruflicher Status (Führungsperson) den deiner Eltern übersteigt. Auf einmal schlüpfst du in eine Rolle, die lange Zeit nicht „normal“ in deiner Welt war. Das kann eine Entscheidung beeinflussen. Achte darauf, deine Entscheidungen nicht auf Grundlage veralteter Glaubenssätze zu treffen, sondern basierend auf deinen realen Stärken und Kompetenzen, Wünschen, Zielen und dem ehrlichen Feedback aus deinem Umfeld.
- Analytisches Vorgehen vs. Intuition: Je schwerwiegender eine Entscheidung, desto sinnvoller ist es, Alternativen sowohl in ihrer kurzfristigen, als auch ihrer langfristigen Konsequenz zu vergleichen. (Wie würdest du deine Entscheidung in 6 Monaten, wie vielleicht in 5 Jahren beurteilen?) Sobald es auf Faktenbasis keinen Unterschied zwischen Entscheidungsalternativen mehr gibt, darf die Intuition, das Bauchgefühl, zur beratenden Autorität werden. Je mehr man seinem Bauchgefühl traut, desto sicherer fühlt sich eine Entscheidung an.
- Vorherige Erfahrungen: Sie sind die Entscheidungsgrundlage für die kommenden und sollten unbedingt in die Überlegungen miteinbezogen werden. Hier könnten gewisse Entscheidungsmuster eine Rolle spielen. Zum Beispiel könnte man über sich wissen, sich immer erstmal für den leichteren Weg zu entscheiden und danach etwas neidisch auf die Fortschritte derer zu schielen, die den härteren Weg gegangen sind. Sobald diese Informationen zur Gewissheit über sich selbst werden, kann das Muster aktiv durchbrochen und auf eine neue Art Entscheidungen getroffen werden.
Interpersonelle Faktoren
- Soziale Normen und Erwartungen: Vielleicht kommst du aus einem sehr leistungsstarken Freundeskreis, oder aus einer Familie, die seit Generationen in einem Berufszweig verortet ist. Diese Tatsache macht es alles andere als leicht, unabhängig davon eine Entscheidung zu treffen, die eventuell in eine andere Richtung geht. Setze dich aktiv damit auseinander, inwiefern diese Erwartungen dir entsprechen und gerecht werden.
- Rollen und Identitäten: Je nach Geschlecht oder kultureller Identität kann es sein, dass du entweder in begrenzten Kategorien denkst, weil du andere nicht auf dich beziehst, oder, du empfindest Druck, eine gewisse Rolle erfüllen zu müssen. Auch hier lohnt sich den Blick von Außen nach Innen zu lenken und zu überprüfen, wie viel die Rolle mit dir als Mensch zu tun hat und welche Entscheidung wirklich dir entspräche.
- Die Außenperspektive: Vielen Menschen geht es so, dass es ihnen schwerfällt zwischen der eigenen Meinung und den Ratschlägen und Perspektiven anderer zu unterscheiden. Sich mit der eigenen Entscheidung gegen die Ratschläge anderer zu entscheiden, kommt gefühlt einer Ablehnung gleich und das wird als unangenehm empfunden. Wenn du weißt, dass deine Entscheidungen stark von den Meinungen anderer abhängen und du wiederholt die Erfahrung gemacht hast, dass diese nicht langfristig das Beste für dich sind, nimm dir Zeit für deinen eigenen Überlegungsprozess, bevor du andere miteinbeziehst.
Kontextuelle und situative Faktoren
- Zeitdruck und Informationsgrundlage: Manchmal bleibt nicht viel Zeit oder, es stehen wenig Informationen zur Verfügung. Dann ist es wichtig, sich darauf einzustellen, dass die Entscheidung mit mehr Unsicherheit einhergeht. Arbeite dafür mit unserem Arbeitsblatt (LINK) an deiner Resilienz. Außerdem hilft hier das Bewusstsein: Eine Entscheidung ist nur eine von vielen, ein Schritt auf einem langen Weg. Mit ihr endet nicht der Gestaltungsspielraum.
- Knappe Ressourcen oder Limitationen: Manchmal kann man nicht alle Optionen in Betracht ziehen, weil sie entweder in einer fremden Stadt sind, in die man nicht ziehen kann, oder äußere Umstände, wie das Abbezahlen eines Kredits forcieren die Entscheidung für eine Option, die im Konflikt mit den eigenen Werten oder dem eigenen Energieniveau steht. Diese Entscheidung fühlt sich besser an, wenn unter ihr nicht der Fokus auf das Negative gerichtet wird, sondern du auch hier schaust, wie du alles drumherum gestalten kannst (Beispiel: Ein Kredit erfordert die Entscheidung für den Job, der besser bezahlt aber nicht mit deinen Werten übereinstimmt. Wenn die nichts über bleibt, als ihn für den Moment anzunehmen, kannst du deine Werte über ein Ehrenamt leben und die Situation insofern neu bewerten, als dass du mit dem Kredit bewusst eine Entscheidung getroffen hat, die die zwar kein wertekongruentes Arbeiten für eine bestimmte Zeit ermöglicht, dafür aber zum Beispiel das Großziehen deiner Kinder in einem Haus).
- Kulturelle Faktoren: Entscheidungen und ihr Ausgang unterliegen auch immer der Kultur, in der sie stattfinden. Vor allem im Arbeitskontext ist es wichtig, die Team- oder Unternehmenskultur zu berücksichtigen.
Entscheidungen als gestaltbare Kompetenz
Die Auflistung macht deutlich: Entscheidungen sind selten eindimensional oder monoperspektivisch. Sie entstehen im Spannungsfeld zwischen Persönlichkeit, sozialen Einflüssen und den Gegebenheiten der Situation. Wer sich dieser Einflussfaktoren bewusst wird, kann sie aktiv in den Entscheidungsprozess einbeziehen, statt sich von ihnen unbemerkt steuern zu lassen. Oder erkennen, weshalb es gerade schwer fällt, sich festzulegen. Sind dir beim Lesen Aspekte bewusst geworden, die dir vorher nicht zugänglich waren?
Wenn dem so ist, und du nach dem Einbezug noch immer keine hundertprozentige Gewissheit hast, lass dir gesagt sein, dass es kein Patentrezept für die „eine richtige“ Entscheidung gibt. Entscheiden bedeutet immer, eine Richtung einzuschlagen, obwohl ein Rest an Unsicherheit bleibt. Genau hier liegt der entscheidende Hebel: Nicht jede Unsicherheit ausräumen zu wollen, sondern den eigenen Umgang mit ihr zu stärken. Nimm dir den Druck, trau dir die Ungewissheit zu.
Manchmal ist eine Entscheidung nur der nächste kleine Schritt, ein Mittel, um in Bewegung zu bleiben. Denn letztlich ist jede Entscheidung ein einzelner Teil eines fortlaufenden Gestaltungsprozesses und kein unumkehrbarer Endpunkt. Sie öffnet neue Wege, Erfahrungen und Erkenntnisse, die wiederum künftige Entscheidungen prägen. Wer diesen Prozess annimmt, verliert die Angst vor der vermeintlich „falschen“ Wahl und gewinnt die Freiheit, Schritt für Schritt ein Leben zu gestalten, das wirklich zu ihm passt.
24.09.2025