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#Persönlichkeitsentwicklung

Warum dich Sichtbarkeit nervt – und wie du dich heimlich nach ihr sehnst

Warum dich Sichtbarkeit nervt – und wie du dich heimlich nach ihr sehnst

Ein LinkedIn-Post: „Ich bin so dankbar für diese Bühne. Was für ein inspirierender Abend – voller wertvoller Begegnungen.“ Dazu ein Bild: Schick gekleidet, Mikro, Applaus. Du scrollst weiter. Und spürst, wie sich etwas in dir zusammenzieht. Schon wieder so ein Selbstdarsteller. 

Wenn wir ehrlich sind, kennen viele von uns dieses Gefühl. Dieses leise Genervtsein, wenn andere sich zeigen, sich feiern, sich Raum nehmen. Und dabei wirkt es so mühelos; zumindest von außen. Während du dich zurückhältst, bescheiden bleibst, auf das Wesentliche konzentrierst. 

Die Projektion der Selbstentfremdung 

Wenn dich die Sichtbarkeit anderer triggert, hat das nicht unbedingt etwas mit ihnen zu tun, sondern oftmals mit dir. Psychologisch gesprochen handelt es sich um eine Sehnsuchtsprojektion: Du lehnst im Außen das ab (oder entwertest es), was du dir selbst nicht erlaubst – aber tief in dir vermisst. Die Bühne anderer wird zur Projektionsfläche für dein eigenes, ungenutztes Potenzial. 

Wann hast du aufgehört, dich zu zeigen? 

Viele Menschen, die sich heute mit Sichtbarkeit schwertun, waren einmal ganz anders. Als Kind, als Jugendliche, vielleicht in der Ausbildung oder in der Anfangszeit im Beruf waren sie mutig, lebendig, expressiv. Die Lust, gehört zu werden, sich auszudrücken, das eigene Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, war da. 

Und dann? Kam vielleicht Kritik. Ablehnung. Ein peinlicher Moment. Oder einfach ein Umfeld, das subtil vermittelt hat: Zeig dich nicht zu sehr, sonst wird es unangenehm. So entwickeln wir innere Antreiber wie „Mach dich nicht wichtig“, „Sei bescheiden“, „Fall nicht auf“. Und bauen unmerklich ein Selbstbild, in dem Sichtbarkeit eher Exposition bedeutet statt Freude an Austausch und Wirksamkeit im Außen. 

Sichtbarkeit als Trigger: Vier Varianten innerer Konflikte 

Was uns aufregt, hat Struktur. Besonders bei einem Thema wie Selbstvermarktung und öffentlicher Präsenz. Im Coaching erleben wir immer wieder vier wiederkehrende Trigger-Dynamiken: 

  1. Die Überidentifikation mit Demut 
    „Ich will nicht wie diese lauten Blender sein.“ 
    Wer gelernt hat, sich über Zurückhaltung zu definieren, empfindet jede Form von Inszenierung als unangemessen. Dabei ist die Ablehnung oft ein Schutzpanzer vor der Angst, selbst bewertet zu werden. 
  1. Der Verlust vergangener Ausdrucksstärke 
    „Früher war ich mutiger – heute kann ich das nicht mehr.“ 
    Menschen, die sich einst gern gezeigt haben, erleben Sichtbarkeit anderer oft als bittersüße Erinnerung an eigene Anteile, die sie längst verloren glauben. 
  1. Die ungestillte Sehnsucht nach Anerkennung 
    „Ich hätte auch gern mal Applaus – aber ich weiß nicht, wie.“ 
    Wer im Innersten nach Wertschätzung dürstet, aber sich nicht traut, den Raum dafür einzunehmen, reagiert empfindlich auf jene, die sich genau das erlauben. 
  1. Das Dogma der Leistung 
    „Man muss erst liefern – dann darf man drüber reden.“ 
    Sichtbarkeit ohne 120% Substanz wird als Hochstapelei empfunden – oft, weil der eigene innere Kritiker nie erlaubt, sich „genug“ zu fühlen. Viele kennen das sogenannte Imposter-Syndrom und die Angst davor, dass alle merken, dass man eigentlich gar nichts kann. 

 

Was Sichtbarkeit nicht ist – und was sie sein kann 

Sichtbarkeit heißt nicht zwangsläufig, laut, schrill oder aufgesetzt zu sein. Sichtbarkeit bedeutet: präsent sein. Eine Haltung einnehmen. Nicht mehr verstecken, was in dir lebendig ist. Die eigenen Gedanken, Erkenntnisse, Erfahrungen und Meinungen nach außen geben – weil sie relevant sind. Nicht für alle. Aber für die, die genau darauf gewartet haben. Sichtbarkeit muss keine Eitelkeit sein, sondern kann auch als Ausdruck einer inneren Erlaubnis funktionieren. 

 

Vom Trigger zur Einladung: Fragen, die dich weiterbringen 

Wenn du dich das nächste Mal dabei ertappst, wie du auf einen selbstbewussten LinkedIn-Post oder eine Kollegin auf der Bühne mit innerem Widerstand reagierst, lohnt es sich, innezuhalten – und genauer hinzuschauen. Statt dich in stiller Abwertung zu verlieren, kannst du diese Irritation als Einladung begreifen:  

  • Welche Eigenschaft an der Person triggert mich – und warum?  
  • Habe ich diese Qualität vielleicht früher selbst einmal gelebt? Und wenn ja, wann habe ich aufgehört, sie mir zu erlauben?  
  • Was würde geschehen, wenn ich mir heute wieder ein Stück mehr Raum nehmen, mich zeigen, Stellung beziehen würde?  
  • Und ganz ehrlich: Was werfe ich meinem Gegenüber eigentlich vor – das ich mir insgeheim selbst vorhalte? 

Solche Fragen sind nicht angenehm. Aber sie öffnen einen inneren Raum – und genau darin liegt ihr Wert. Denn wer sich traut, ehrlich hinzuschauen, entdeckt oft nicht nur die Ursache des Widerstands, sondern auch den ersten Impuls, sich selbst wieder mutiger zu zeigen. 

Wenn du spürst, dass dich Sichtbarkeit triggert, heißt das nicht, dass du ab morgen dein Leben öffentlich ausrollen musst. Es heißt lediglich, dass ein Teil in dir gehört und gesehen werden möchte – von dir selbst und vielleicht auch von der Welt. 

 

Wie du beginnen kannst, mehr Sichtbarkeit online zu leben – ohne dich zu verstellen: 

  1. Fang klein an, aber ehrlich 
    Du musst keinen Monolog halten – beginne mit einem Post, der wirklich von dir kommt. Vielleicht ein Gedanke, der dich bewegt hat. Eine Erfahrung aus deinem Alltag. Eine Frage, die du dir stellst. 
  1. Werde persönlicher – nicht privat 
    Sichtbarkeit heißt nicht Seelenstriptease. Aber ein Post mit Haltung, ein Erfahrungswert, eine ehrliche Reflexion wirkt weit stärker als der 10. geteilte Artikel. Menschen reagieren auf Menschen – nicht auf Phrasen. 
  1. Teile Erkenntnisse statt Erfolge 
    Du musst dich nicht ständig feiern. Aber wenn du teilst, was du gelernt hast – in einer Herausforderung, in deinem Job, in deiner Entwicklung – wirst du sichtbar als reflektierte, nahbare Persönlichkeit. 
  1. Nutze Formate, die zu dir passen 
    Du musst kein Reel-Star werden. Vielleicht liegt dir Schreiben mehr? Oder kurze Impulse auf LinkedIn? Oder visuelle Notizen auf Instagram? Authentizität schlägt jedes Format – finde deinen Stil. 
  1. Routinen schaffen 
    Nimm dir vor, 1x pro Woche einen Beitrag zu posten – nicht für den Algorithmus, sondern für deine eigene innere Erlaubnis. Mit der Zeit entsteht Sicherheit, und du wirst erleben, wie sich Resonanz verändert. 
  1. Sichtbarkeit bedeutet auch Interaktion: 
    Kommentiere Beiträge, stelle Fragen, zeig dich in Diskussionen. Oft beginnt Sichtbarkeit nicht im eigenen Feed, sondern in der Art, wie du dich im digitalen Raum beteiligst. 
  1. Vor allem: Mach’s dir nicht zu groß. 
    Du musst nicht gleich mit deinem Purpose auf die Bühne. Es reicht, wenn du sagst: Ich habe da was beobachtet. Oder: Das ging mir durch den Kopf. Es ist die Wiederholung, die Vertrauen schafft – nicht der eine große Auftritt. 

 

Fazit: Sichtbarkeit braucht keine Bühne – sondern Bewusstheit 

Niemand entscheidet sich bewusst gegen Sichtbarkeit. Vielmehr ist der Rückzug oft ein Schutzreflex – aus Erfahrungen, in denen wir gelernt haben: Wenn ich mich zeige, werde ich verletzt, abgelehnt oder missverstanden. Doch heute, als erwachsener Mensch, bist du nicht mehr das Kind, das auf Akzeptanz angewiesen ist. Du darfst neu entscheiden. 

Sichtbarkeit beginnt nicht mit einem viralen Post. Sie beginnt in dir – mit der Entscheidung, dass du dich selbst nicht länger klein hältst, nur um bequem zu sein. Was dich an anderen aufregt, ist selten nur Ärger – es ist oft ein verschlüsselter Wunsch. Die nächste Gelegenheit, dich selbst ein wenig mehr zu zeigen, wartet vielleicht schon morgen. Nicht laut. Nicht perfekt. Aber echt. 

 

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