Slow Work vs. Fast Work – Ein Spannungsfeld mit echtem Entwicklungspotenzial

von Anna Schmitz
Slow Work vs. Fast Work – Ein Spannungsfeld mit echtem Entwicklungspotenzial
Eine Debatte zwischen Verfechtern von Slow Work und von Fast Work gibt es schon länger als KI. Dennoch stellt sich heute mehr denn je (oder mindestens seit der Einführung der E-Mail) die Frage, welche Auswirkungen neue Arten zu arbeiten auf uns, unsere berufliche Kompetenzen und die Erfolge unserer Unternehmen haben. KI spuckt uns in Kürze Ergebnisse aus, die vorher Stunden oder Tage gedauert hätten. Sie verschiebt den Wert einer Arbeit zu hundert Prozent auf das Ergebnis und nihiliert den Wert des Prozesses dorthin. Tiefgründige Recherchen? Mit den richtigen Fragestellungen in wenigen Stunden erledigt. Ansprechende LinkedIn-Posts? In Sekundenschnelle angefertigt. Die Auswertung von Feedback? Unmittelbar perfekt kategorisiert wiedergegeben. Das Anfertigen von Moodboards? Die KI versteht deine kreative Idee auf Anhieb und übersetzt sie in Bilder oder Videos.
Doch was sich im ersten Moment als Arbeitserleichterung anfühlt, erzeugt bei vielen fast zeitgleich ein Störgefühl. Fehlt da nicht etwas? Der Tiefgang. Die Inspiration. Die Resonanz. Der Prozess. Ja das tut es. Und zugleich sind die Ergebnisse qualitativ hochwertig, effizient und das Arbeiten mit KI zeitgemäß. Wer sich ihr verwehrt, wird langfristig relevante Entwicklungen verpassen. In genau diesem Spannungsfeld befinden wir uns aktuell.
Ein kleiner Exkurs
Jeder Mensch verfügt über ein autonomes Nervensystem, welches aus dem Sympathikus („Fight or Flight“) und dem Parasympathikus („Rest and Digest“) besteht. Ersterer wird immer dann aktiv, wenn der Mensch schnell, intensiv und besonders fokussiert reagieren muss. Sein Gegenspieler, der Parasympathikus, reagiert auf diese Kraftanstrengung mit langsamen, gründlichen und regenerativen Prozessen. Der eine Player gibt also Gas, der andere bremst aus. Ein gut funktionierendes Autonomes Nervensystem zeichnet sich nicht dadurch aus, dass einer der beiden besonders stark ist. Sondern dadurch, dass es flexibel auf äußere Bedingungen reagiert und problemlos zwischen den beiden Systemen hin- und herwechselt. Und weil dieser Mechanismus von der Natur eingerichtet wurde und die Natur eine Lehrmeisterin in Sachen nachhaltiger Prozesse ist, können wir dieses Zusammenspiel genauso auf die beiden Modi Slow Work und Fast Work übertragen. Keiner der beiden Modi ist dem anderen überlegen. Nur aus der Kombination, die auf vorliegende individuelle und Arbeitsbedingungen reagiert, entsteht ein nachhaltiger und gewinnbringender Arbeitsprozess.
Standardmodus Fast Work
Grundsätzlich ist die Arbeitswelt sicherlich in ihrem Tempo zum schnellen Pol hin verschoben. Geschwindigkeit, Effizienz und Fortschritt sind relevante Größen in einer Wettbewerbsfähigkeit, der Unternehmen unterliegen. Das bekommen die meisten in ihrem Alltag zu spüren: Noch bevor das eine Projekt abgeschlossen ist, steht das nächste in den Startlöchern. Die Postfächer, Trello- und Slackboards quellen über, Arbeitszeiten werden selbstverständlich überschritten und Sprints, die eigentlich Arbeitsspitzen in hochintensiven Projektphasen markieren, werden zum Normalzustand. Kurzfristig bekommen wir auf diese Arbeitsweise vieles hin, doch langfristig führt sie zur Erschöpfung. Die Nutzung von KI wird zur Versuchung, der man durchaus auch nachgeben sollte. Überall dort, wo rein ausführende Arbeit abgekürzt werden kann, ist KI in all ihren Möglichkeiten gut eingesetzt. Wenn man die dadurch entstandene Zeit gut nutzt und zwar – du ahnst es bereits – für Slow Work. Den Tiefgang. Die Inspiration. Die Resonanz.
Slow Work – nicht alles langsam, sondern im richtigen Tempo machen
Bei der Slow Work geht es nicht darum, künstlich Tempo rauszunehmen. Manchmal gar im Gegenteil. Zum Beispiel, wenn du dich in kreativen Prozessen gedanklich überschlägst. Slow Work schließt alle Prozesse ein, die nicht zielgerichtet, sondern assoziativ und von unterschiedlichen Faktoren unkontrolliert beeinflusst sein dürfen. Diese sind:
- Kreative Prozesse: Brainstormingsessions in einem multidisziplinären Team, Inspiration in anderen Arbeitsbereichen als den eigenen, Gedanken sortieren durch lange Schreibprozesse, Ideen inkubieren, nachhaltige Innovationen planen statt Trendhopping zu betreiben
- Denkprozesse: Lange Texte lesen oder Dokumentationen anschauen, breite Recherchearbeit vor Vertiefung, das Reifen lassen von Gedanken, das Einholen mehrerer Perspektiven, anspruchsvolle kognitive Arbeit selbst erledigen, logische Zusammenhängen in der Tiefe zu verstehen versuchen
- Beziehungsprozesse: Gemeinsames Reflektieren aktueller Entwicklungen, Austausch über aktuelles Befinden und unterschiedliche Wahrnehmungen/Positionen, Beziehungspflege durch persönlichen Kontakt, Zeit für gemeinsame Rückschau auf Prozesse, um beispielsweise Learned Lessons zu markieren, eigene Kunden wirklich kennenlernen, Zeit für Kundenaustausch und echtes Interesse an Kundenzufriedenheit
- Führungsprozesse: Individuelle Entwicklung fördern statt Perfektion vorauszusetzen, Festlegen ethischer Dimensionen und gemeinsamer Werte, besonnene Unternehmensentwicklung mit Bedacht statt Troubleshooting, echte Feedbackstrukturen, Zeit für Anerkennung und Wertschätzung der Mitarbeitenden durch Gesten der Aufmerksamkeit, Raum für Disruption/Widerspruch schaffen
- Gesundheitsprozesse: Nach intensiver Arbeit Zeit für Regeneration, in intensiven Arbeitsphasen Entlastungsmomente schaffen (Sport, Massagen, gemeinsames Frühstück, Meditation…), Mental Health Workshops, in denen der Umgang mit Stress (Fast Work-Anforderungen) erlernt wird
- Individuelle Prozesse: Reflexion persönlicher beruflicher Entwicklung, regelmäßige Zieldefinition und Zielerreichungsprüfung, Zeit für relevante Weiterbildungen, persönliche Präferenzen und unternehmerische Entwicklungen zusammenbringen (statt lediglich Vorgaben zu folgen), persönliches Stresslevel eruieren und mit Maßnahmen gegenwirken
Slow Work ist nicht eine einzelne Tätigkeit, sondern ein ganzes Bündel an Haltungen und Praktiken. Es umfasst intellektuelles Arbeiten, Beziehungspflege, Führung, Kreativität und Selbstsorge.
So gelingt es dir, Slow Work in deinen Alltag zu integrieren.
Schon anhand vieler kleiner Maßnahmen kann es dir gelingen, deinen Arbeitstag, der eher schneller, als langsamer ist, so zu modifizieren, dass deine effiziente Seite um eine bewusste ergänzt wird. KI nimmt dir dabei die Routinearbeiten ab, und du hast Zeit für das Wesentliche. So könnte es am Beispiel eines Arbeitstages aussehen:
Am Morgen
- Du beginnst deinen Tag offline. Bevor du das erste Mal deine Mails checkst, machst du einen Check-in mit dir selbst: findet dieser Tag unter bestimmten Vorzeichen statt und solltest du darauf Rücksicht nehmen? Welche Intentionen hast du für den heutigen Tag, welche Aufgaben solltest du priorisieren, welche dürfen in den Hintergrund rücken? Mache dir Notizen, die dich den Tag über begleiten.
- Erst danach öffnest du dein KI-Dashboard. Hier sind die Mails vorsortiert und die heutigen Termine poppen auf. Gleiche die Informationen mit deinen Vorhaben ab und starte mit dem ersten Schritt.
Am Vormittag
- Du bist (im besten Falle) ausgeschlafen, kognitiv sortiert, weil du einen guten Überblick über alles Anfallende hast und hast deinen Kaffee oder grünen Tee getrunken. Beste Voraussetzungen, eine Deep-Work-Session zu starten. Alle anspruchsvolle Arbeit, die hohe Konzentration erfordert, könnte nun stattfinden. Nutze den Output von KI als deinen Input und nicht umgekehrt. Oder nutze KI, um in einen kritischen Dialog einzusteigen, dein Wissen zu überprüfen, zu erweitern und selbst ausgearbeitete Ideen oder Texte zu verbessern. Dann vertiefe dich, stelle Verbindungen zu deinem Wissen und zum aktuellen Projekt her. Halte deine Erkenntnisse fest und teile sie eventuell mit Kollegen und Kolleginnen, die auch davon profitieren würden.
Am Mittag
- Nutze die Pause, um dich mit deinem Team zu verbinden. Statt hektisch vor dem Bildschirm etwas zu essen, triff dich bewusst mit anderen und tritt in Austausch mit ihnen.
- Während dein KI-Assistent den aktuellen Stand deines Projektes zusammenfasst schaust du bei den involvierten Kolleg*innen vorbei und fragst nach, wie sie aktuell vorankommen und ob Bedenken oder Gedanken bezüglich des Projektes oben aufliegen, von denen du wissen solltest. Du nimmst die Zwischentöne auf, die KI nicht erfassen kann.
Am Nachmittag
- Du wohnst einem Meeting bei, welches von einer KI protokolliert wird. Ein Kollege stellt eine neue Idee vor und ihr nutzt die letzten 15 Minuten für eine freie Assoziation, wieso das Projekt „scheitern wird“. Mit diesen Impulsen kann der Kollege weiter an seiner Idee schleifen. Er versteht sie nicht als Kritik, weil es eine etablierte Instanz ist, der sich jede neue Idee unterzieht und die eure hohe Qualität sichert.
- Eine überraschende Kundenanfrage bringt dich in Zeitnot. Du lässt dir von deiner KI drei Ideen generieren und nutzt die Zeit, die du durch sie gewinnst, um dich mit den Ideen auseinanderzusetzen. Gepaart mit deiner fachlichen Expertise, die du durch deinen Deep-Work-Sessions ständig aufbaust, wägst du mit dem Kunden gemeinsam die Optionen ab. Du nimmst dir die Zeit, seine Erwartungen wirklich zu verstehen und zusammen trefft ihr die für ihn beste Entscheidung.
Am Abend
- Der Arbeitstag nähert sich dem Ende. Du fragst mit genügend Zeit in deinem Team, ob es für den heutigen Tag noch relevante Fragen gibt. Dann reflektierst du: welche Entscheidungen wurden heute getroffen, welche Fragen bleiben offen? Was braucht Reifung, Perspektive oder Anpassung? Und was bedeutet das, für den nächsten Tag.
Zu Hause
- Zu Hause lässt du Arbeit Arbeit sein und versuchst nicht, deine freie Zeit nach allen Regeln der Kunst zu optimieren. Tu das, was dir gut tut – was das ist, weißt du am besten.
Slow Work und Fast Work stellen keinen Widerspruch dar. Sie sind ein sich ergänzendes Paar, das den Anforderungen modernen Arbeitens gerecht wird. Wenn du dir zutraust, dich von der KI unterstützen zu lassen und dich den Möglichkeiten öffnest, die sie dir bietet, ohne dabei dein kritisches Denken, deine kreative Originalität oder deine empathische Verbundenheit einzuschränken, musst du dich nicht zwischen den beiden Modi entscheiden. Dann vereinen sie sich bereits in deiner Arbeitsweise und du bist auf dem besten Weg, auf smarte Art und Weise zu arbeiten.
* Dieser Text wurde ohne KI geschrieben.
28.10.2025



