#Persönlichkeitsentwicklung

Geiz ist gar nicht geil – so werden Sie großzügiger!

Geiz ist gar nicht geil – so werden Sie großzügiger!

Gerade kapitalistisch geprägte Kulturen fördern geiziges Verhalten, während es in vielen Religionen als unmoralisch gilt. Woher Geiz kommt und wie Sie es schaffen, leichter mit anderen zu teilen, verrät Ragnhild Struss. Kleiner Spoiler: Mit mehr Großzügigkeit können wir glücklicher leben. 

Mitbewohner, die selbst im tiefsten Winter auf ausgeschalteter Heizung bestehen. Freunde, die einen daran erinnern, dass man ihnen noch 31 Cent für den mitgebrachten Apfel schuldet. Kollegen, die nie eigene Snacks teilen. Partner, die selbst am gemeinsamen Jahrestag ein Abendessen vom Discounter dem Restaurantbesuch vorziehen. Was manche Menschen gar als vernünftiges, sparsames und sinnvolles Verhalten empfinden, fällt bei anderen eindeutig in die Kategorie „Igel in der Tasche“. Als eine der sieben Todsünden in der klassischen christlichen Theologie wurde Geiz aufs Schärfste verurteilt, während er mittlerweile vor allem in kapitalistisch geprägten Ländern teilweise fast schon „in“ ist. Wie hängen Geiz und Habgier zusammen, warum sind einige Menschen geiziger als andere und was können Sie tun, um mehr Großzügigkeit zu entwickeln? 

Was bedeutet eigentlich Geiz?

Laut Definition steht Geiz für eine „übertriebene Sparsamkeit“ mit dem Unwillen, Güter zu teilen. Im Christentum hängt dabei die „Wurzelsünde“ Geiz direkt mit der Habgier (lat. „avaritia“) zusammen – sie stellen gewissermaßen zwei Seiten derselben Medaille dar: Der Geizige häuft gierig immer mehr und mehr Ressourcen an, ohne davon etwas abzugeben. Dabei kann es sich um materielle Güter wie Geld, Besitztümer oder Lebensmittel handeln, aber auch um Immaterielles wie Zeit, Liebe und Aufmerksamkeit, die nicht mit anderen Menschen geteilt werden. 

Bei genauerem Hinsehen lassen sich verschiedene Arten von Geiz unterscheiden. So sind einige Personen einfach allgemein extrem sparsam und lehnen jegliche Verschwendung ab, ob sich selbst oder anderen gegenüber. Sie können wohlhabend sein (auch in Folge ihres Geizes), leben jedoch in ärmlichen Verhältnissen und geben auch für andere Menschen kaum Geld aus. Andere Typen, bei denen die Habgier-Komponente stärker betont ist, wollen alles Gute für sich alleine haben: Sie treten nach außen hin geizig auf, während sie sich selbst mit einem luxuriösen Lebensstil verwöhnen. Und schließlich trifft man auf märtyrerhafte Menschen, die sich selbst jeglichen Komfort versagen und all ihre Ressourcen stattdessen anderen abgeben. Diese Gruppe wird selten als geizig im klassischen Sinne betrachtet, weil sie sich so großzügig gegenüber ihren Mitmenschen verhält. Sich selbst permanent „zu kurz kommen“ zu lassen kann jedoch ähnliche Beweggründe haben wie die offensichtlicheren Geizformen.

Warum entwickeln manche Menschen geizige Züge? 

Als tiefenpsychologische Begründung für das Entstehen eines geizigen Charakters betrachtete Sigmund Freud die so genannte anale Fixierung. In einem gewissen Alter erlebt das Kind laut dieser Theorie das Gefühl von Kontrolle, Autonomie und Macht, wenn es nicht teilt, sondern alles für sich behält. Einige Menschen bleiben quasi in dieser Phase „stecken“, weil sie es stark so empfunden haben, als werde ihnen zu viel genommen. Sie neigen dann auch als Erwachsene dazu, die Kontrolle nicht abgeben zu wollen – was sich schließlich in geizigem Verhalten äußern kann. Äußerst geizige Menschen leiden übrigens häufig auch unter Zwangsstörungen, welche ebenfalls mit einer analen Fixierung in Zusammenhang gebracht werden. 

Eine weitere Erklärung für die Entwicklung von Geiz liefert der Behaviorismus: Das habgierige Verhalten ist schlichtweg das Resultat aus Lernprozessen in Kindheit und Jugend. Dabei kommt es stark darauf an, welchen Umgang mit Geld und anderen Ressourcen die eigenen Eltern pflegen und welche Werte sie ihrem Kind diesbezüglich vermitteln. Wird ein junger Mensch etwa jedes Mal gelobt, wenn er brav eine weitere Münze ins Sparschwein wirft, statt sein Taschengeld auszugeben, fungiert dies als positiver Verstärker für den Lernprozess. Ebenso kann Kritik infolge von „verschwenderischem“ Verhalten das Kind dazu bringen, so etwas künftig zu meiden, um dem negativen Gefühl des Tadels zu entgehen. Die „Geiz-Affinität“ einer Familie schlägt sich häufig auch in Glaubenssätzen nieder, die an kommende Generationen weitergetragen werden: „Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert.“ oder „Der Kluge sorgt vor.“ unterstützen langfristig ein Mindset, in dem jegliches Geldausgeben wohl durchdacht sein muss. 

In jedem Fall wähnen sich geizige Menschen in irgendeiner Weise in einer unsicheren Welt und sind von Zweifeln um die eigene Selbstwirksamkeit geprägt. Sie sind also selbstunsicher und haben aus Angst vor der Zukunft oder vor einem Ausgenutztwerden ständig das Gefühl, vorsorgen und horten zu müssen. Über mangelnde Großzügigkeit möchten sie sich in Kontrolle und in Sicherheit fühlen – Besitz dient ihnen quasi als Schutzschild.

Negative Auswirkungen von geizigem Verhalten

Gerade auf Beziehungen kann Geiz deutlich negative Effekte haben. Wenn jemand nicht teilt oder nichts schenkt, fühlt sich das Gegenüber zum einen nicht wertgeschätzt. Schlimmer noch: Dieses Verhalten lässt andere sich so fühlen, als könne man ihnen nicht vertrauen – weil der geizige Mensch alles von sich abschirmt und keinerlei „Einblicke“ in sich und seine materielle oder immaterielle Welt erlaubt. Gleichzeitig können Menschen, die nicht geben, häufig auch nicht gut nehmen: Schenkt man ihnen etwas, bedanken sie sich deswegen oft nicht richtig, weil sie sich im Grunde schuldig fühlen – wissend, dass sie sich nicht „revanchieren“ werden. Sind Geben und Nehmen nicht im Gleichgewicht, belastet das jede Beziehung, denn menschliche Verbindungen florieren bei Ausgleich. Auch beruflich wirkt sich Geiz nachteilig aus: Jemand, der nicht geben kann, wird erstens nicht wirklich gemocht und zweitens ungerne befördert. 

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Drei Tipps für mehr Großzügigkeit 

Geizige Menschen merken oft gar nicht, dass sie in diese Kategorie fallen. Sie halten sich vielleicht einfach für sehr sparsam und sind womöglich auch noch stolz auf diesen Charakterzug. Ein Indiz, dass man mehr Großzügigkeit entwickeln sollte, liefert das Hineinhören in sich selbst: Fühle ich mich mit meiner sparsamen Art wirklich glücklich und erfüllt? Lautet die Antwort „nein“, helfen Ihnen die folgenden Tipps dabei, Ihre Geiz-Tendenzen zu überwinden. 

1.    Eigene Glaubenssätze hinterfragen 

Überlegen Sie mal, woher es kommt, dass Sie einen gewissen Geiz leben. Was versprechen Sie sich davon? Was würde passieren, wenn Sie großzügiger wären? Was macht Ihnen daran Angst? Möglicherweise stellt Sicherheit einen wichtigen Wert in Ihrem Leben dar und Sie betrachten Ihren Geiz als adäquaten Weg, um diese zu erzielen. „Better safe than sorry.“ oder „Die Welt ist voller unvorhergesehener Gefahren.“ könnten dann Glaubenssätze in Ihrem Hinterkopf sein, die Sie immer wieder zu einem konservativen Umgang mit Geld animieren. Oder vielleicht haben Sie durch entbehrungsreiche Lebensphasen am eigenen Leib erfahren, was Mangel bedeutet, und wollen es nie wieder so weit kommen lassen. „Ich bin auf alles vorbereitet.“ oder „Ich lasse mir von anderen nicht wegnehmen, was mir zusteht.“ sind dann vielleicht Leitsätze, die Sie zum Horten sämtlicher Ressourcen veranlassen. Welche Überzeugungen auch immer Ihrem Handeln zugrunde liegen: Hinterfragen Sie, ob sie Ihnen heute wirklich noch dienen – oder ob es sich um veraltete, früher einmal übernommene Einstellungen handelt, die eigentlich gar nicht mehr auf Ihr jetziges Ich und Ihre heutige Situation zutreffen. Sie können sich auch aktiv neue, positivere Glaubenssätze aneignen, indem Sie Ihre bisherigen umformulieren: zum Beispiel „Die Welt steckt voller Chancen und es findet sich für alles eine Lösung.“ oder „Wenn alle teilen, ist genug für alle da.“. 

2.    Die innere Leere füllen 

Jetzt wird es noch persönlicher: Welches tiefliegende unerfüllte Bedürfnis möchten Sie mit geizigem Verhalten stillen? Und: Ist dieser Weg wirklich erfolgreich? Ein Mensch, der als Kind unter distanzlosen Eltern litt, die keinen Respekt vor seinen Dingen und vor seiner Privatsphäre gezeigt haben, nutzt als Erwachsener Geiz vielleicht als Kompensation dafür: Indem er sich heute von anderen abkapselt und seine Gedanken, materiellen Ressourcen, Zeit und sogar Liebe nicht mit anderen teilt, kann er endlich seine eigenen Grenzen abstecken. Und wer nichts braucht, muss um nichts fragen und schafft so quasi Unabhängigkeit. In einem solchen Fall lohnt sich die Überlegung, wie dieser Mensch Autonomie auf andere, gesündere Weise in seinem Leben etablieren könnte – etwa durch Kampfsport, der sein Selbstbewusstsein stärkt, oder durch feste Zeiten in der Woche, die er alleine verbringt. Ein weiteres Beispiel in Bezug auf Habgier: Wurde ein Kind immer nur mit Geschenken überhäuft, während seine Eltern kaum Zeit für es hatten? Dann hat es wahrscheinlich gelernt, dass materieller Wohlstand für Liebe steht. Indem ein solcher Mensch später alle möglichen Besitztümer hortet und immer noch mehr haben will, drückt er eigentlich seine Sehnsucht nach Zuneigung aus – die er auf ungünstige Weise sucht. Hier kann es helfen, echte Beziehungen aufzubauen und zu stärken, die viel eher das Gefühl von sozialer Bestätigung und Geborgenheit zu schenken vermögen. 

Auch der Selbstwert ist bei Raffgier meist zu schwach ausgeprägt: Besitz soll als Kompensation fungieren, um Schutz und Stärke zu schaffen. Die richtige Strategie wäre, an mehr Selbstliebe zu arbeiten. Geiz ist immer mit irgendeiner Form von Angst verbunden, und deshalb wird kein Horten, Anhäufen oder Sparen je das Mangelgefühl verschwinden lassen. Es muss stattdessen an innerer Fülle gearbeitet werden. In vielen Fällen kann auch eine Psychotherapie bei diesem Prozess unterstützen.  

3.    Aktiv großzügiges Verhalten trainieren

Überlegen Sie, in welchen Bereichen Sie gerne von nun an großzügiger wären und mit welchen konkreten Maßnahmen Sie dies erreichen können. Bringen beispielsweise Ihre Kollegen auf der Arbeit reihum eine Tüte Süßigkeiten für das ganze Team mit, während Sie sich bisher enthalten haben? Dann besorgen Sie doch diese Woche mal etwas für alle. Oder geben Sie beim nächsten gemeinsamen Kneipenbummel mit Ihren Freunden mal eine Runde aus – einfach so. Sie erfahren, dass eine gute Freundin krank im Bett liegt? Dann schenken Sie Ihr ein Stück Ihrer Zeit, indem Sie anbieten, den Einkauf für sie zu erledigen. Ihr Partner hat Ihnen schon mal gesagt, dass er sich „mehr Liebe“ von Ihnen wünscht? Vielleicht gelingt es Ihnen ja, Ihre Gefühle offener zum Ausdruck zu bringen und ihm öfter mal ein Wort der Verbundenheit oder eine zärtliche Geste zuteilwerden zu lassen. Oder gegebenenfalls könnten Sie zu sich selbst etwas großzügiger sein und beispielsweise eine alte, verschlissene Jacke mit einer neuen von guter Qualität ersetzen – trotz ihres hohen Preises. In all diesen Situationen kann es passieren, dass Sie zunächst auf einen inneren Widerstand stoßen. Denn Ihr bisheriges Muster war es, Ressourcen zu schonen – das Gegenteil davon zu tun, wirkt also zunächst kontraintuitiv. Geben Sie sich trotzdem einen Ruck und registrieren Sie auch, wie Sie sich im Anschluss fühlen. Ist es schön, anderen (oder sich selbst) eine Freude zu machen? Fühlen Sie sich dadurch mehr mit ihnen verbunden? Und tritt vielleicht gar nichts Schlimmes ein, wovor Sie sich bislang gefürchtet haben – zum Beispiel, dass Ihnen keine Zeit mehr für sich selbst bleibt oder dass Ihnen am Monatsende wahrnehmbar Geld fehlt? Wiederholen Sie großzügige Verhaltensweisen, bis sie selbstverständlicher für Sie werden.

Fazit

Das Gegenteil von Geiz ist nicht Verschwendung. Niemand sagt, dass Sie einen verantwortungslosen Umgang mit Ressourcen übernehmen sollen, um Ihre geizigen Züge zu überwinden. Es gibt jedoch zwischen diesen beiden Extremen einen gesunden Mittelweg, bei dem Sie andere an dem teilhaben lassen, was Sie zu bieten haben – ohne jegliches Maß, jegliche Vernunft und Sicherheit über Bord zu werfen. Der Gewinn: mehr Nähe, Verbundenheit und Freude in sozialen Beziehungen und ein Gefühl der Fülle statt des Mangels.

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