#Persönlichkeitsentwicklung

Das Ego: Je größer, desto besser?

Das Ego: Je größer, desto besser?

Wir alle werden hin und wieder von unserem Ego geleitet, sehnen uns nach Lob und Komplimenten und versuchen, Kritik fernzuhalten. Doch wenn das Ego zu groß wird, kann es schaden und Wege verbauen – vor allem die Entwicklung unseres authentischen Ichs. Ragnhild Struss beleuchtet, warum es sich lohnt, das eigene Ego genauer zu erkunden und gibt Tipps, wie wir von einem bewussten Umgang mit ihm profitieren.

Es gibt viele Tricks, um das eigene Ego zu pushen: neue Likes bei Instagram, Lob für eine Leistung im Job – etwas mehr als für die Kollegin, oder ein kleiner Flirt, wenn die eigene Beziehung gerade nicht die gewünschte Erfüllung bringt. Aber diese Art der Bestätigung verfliegt genauso schnell, wie sie gekommen ist, schmeichelt zwar kurz dem Ego, füllt aber langfristig nicht die Leere, gegen die man innerlich ankämpft. Denn diese kleinen Ego-Booster sind nichts als Kompensationsstrategien für unerfüllte Bedürfnisse, für einen Mangel in uns selbst.

Umgekehrt kann am Ego kratzen, was das Selbstbild ins Wanken bringt. Wenn uns beispielsweise jemand sagt: „Ich hätte gar nicht gedacht, dass Sie so geizig sind.“ Aussagen wie diese rufen das unangenehme Gefühl hervor, mit etwas konfrontiert zu werden, was nicht der eigenen Vorstellung von uns selbst entspricht. Das kann die Niederlage in einer Sportart sein, in der wir bisher herausragende Leistungen gezeigt haben, die Absage auf eine Bewerbung für eine Position, die wir uns selbst zugetraut haben oder auch die Kritik für eine Aufgabe, die wir selbst als gut bewertet haben. Dann spüren wir unser Ego: Wir sind enttäuscht, frustriert und reagieren möglicherweise mit Rückzug oder vielleicht sogar einem (Gegen-)Angriff.

Wenn ein starker Fokus auf das eigene Ego also weder langfristig hilfreich noch förderlich für ein nachhaltiges Selbstwertgefühl ist, sollte man sein Ego dann nicht möglichst schnell „auflösen“?

Was ist überhaupt „das Ego“?

„Ego“ ist lateinisch und bedeutet „Ich“. In der Psychologie wird Ego definiert als die Vorstellung, die der Mensch von sich hat. Es ist als eine Art Identifikation mit dem gewünschten Selbstbild zu verstehen, das Selbstkonzept als Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“. Ego ist also nicht das wahre Selbst, die authentische Persönlichkeit, sondern das Bild, das man von sich selbst hat und nach außen darstellen möchte. 

Nach C.G. Jung stellt das Ego den bewussten Teil der Persönlichkeit dar, also das Bild, das wir von uns selbst haben. Es bezieht sich vor allem auf die als positiv bewerteten Seiten – wie wir uns gerne sehen, wie wir sein wollen, zum Beispiel erfolgreich, hilfsbereit, zuverlässig, engagiert, attraktiv, großzügig. Dass das Ego im Spiel ist, merkt man oft daran, dass eine starke Definition über äußere Attributionen stattfindet, die mit Erfolg assoziiert werden: Dann geht es um akademische Titel, Karrierestufen, Wohlstand oder Machtpositionen. 

Egoismus bedeutet dementsprechend, dass der Fokus so stark auf dem Ego liegt, dass jegliches Verhalten dazu dient, das eigene Ego zu füttern. Andere Menschen werden benutzt, um permanent Bestätigung zu erhalten. „Habe ich das nicht toll gemacht?“ „Das Projekt war allein meine Idee.“ „Ich bin doch wirklich ein guter Vater, oder?!“ Wenn das handlungsleitende Motiv ist, die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen, kann es passieren, dass man rücksichtslos und zum Nachteil anderer agiert. Das größte Stück Kuchen, die Anerkennung für einen beruflichen Erfolg, Lob für eine Leistung – wer all das für sich alleine beansprucht und nur auf seinen Vorteil bedacht ist, ist für sein Umfeld extrem fordernd und schadet mit diesem Verhalten letztendlich auch sich selbst. 

Wie entsteht das Ego?

Das Ego entsteht einerseits durch Zuschreibungen von innen: Wie sehe ich mich selbst? Welche Meinung habe ich von mir? Was glaube ich, wie (großartig) ich bin? Andererseits wird das Ego auch von außen geprägt, indem man immer wieder gesagt oder gezeigt bekommt: So bist du. Darin bist du gut. Das kann einerseits zu echtem Selbstvertrauen führen, andererseits – wenn diese Zuschreibungen nicht der Realität entsprechen, sondern auf einer verzerrten Wahrnehmung des Umfelds – eben auch zu einem falschen Selbstbild.

Umgekehrt kann ein falsches Selbstbild auch durch nichtzutreffende negative Zuschreibungen entstehen. Wer immer wieder von seinem prägenden Umfeld hört: „Das kannst du nicht, du warst noch nie ordentlich, du hast schon immer alles kaputt gemacht“, kann daraus ein falsches Bild von sich selbst entwickeln. Dieses Bild wird dann möglicherweise durch das eigene Verhalten ausgefüllt und immer wieder bedient, selbst, wenn man sich eigentlich davon lösen möchte. Oder aber, man versucht, eine erneute Zuschreibung dieser Art und die damit verbundene schmerzhafte Erfahrung um jeden Preis zu vermeiden, indem man mit aller Kraft dagegen an arbeitet und bemüht ist, das Gegenteil zu beweisen. 

Wenn wir einen Teil von uns ablehnen, dann exkludieren wir ihn aus unserem Ego. Das gilt besonders für weniger positiv bewertete Eigenschaften oder Verhaltensweisen wie Neid, Gier, Eifersucht, Geiz oder Schwäche. Die Wahrheit ist aber – und Vorsicht, jetzt wird es unbequem: Wir alle sind mal neidisch, mal überheblich, mal unsicher, ängstlich oder geizig.

Wie findet man heraus, ob das eigene Ego beteiligt ist?

Man kann dem Ego auf die Schliche kommen, indem man sich fragt: „Worum geht es mir bei der Sache wirklich? Will ich den Job haben, weil ich denke, dass ich dort etwas bewegen kann / dass er zu meiner Persönlichkeit passt / dass er mein Bedürfnis nach sinnstiftender Arbeit / mehr finanzieller Freiheit / mehr Zeit für die Familie erfüllt? Oder will ich die Beförderung bekommen, um mir selbst zu beweisen, dass ich es kann? Dass ich etwas wert bin? Oder geht es vielleicht darum, dass ich hoffe, ein bestimmtes Bild von mir zu kreieren, um von anderen damit mehr Aufmerksamkeit oder Anerkennung zu erhalten? Oder liegt dahinter ein tieferer Sinn?“

Manchmal meldet sich das Ego in Form der eigenen Reaktion auf Kritik: Wer sich im Feedback-Prozess schnell persönlich getroffen fühlt und Kritik nicht sachlich nehmen kann, sondern sich in seinem Selbstwert angegriffen fühlt, reagiert leicht mit Abwehr („Das habe ich nicht gemacht!“) oder sogar Abwertung des Gegenübers („Der hat ja keine Ahnung!“) – um seine eigene Unzulänglichkeit nicht spüren zu müssen.

Wer sich ständig mit anderen vergleicht und dabei den Anspruch hat, besser, schneller, großartiger – irgendwie besonders – sein zu müssen, könnte ein Problem mit dem Ego haben. Weil kein unabhängiger stabiler Selbstwert vorliegt, muss der Beweis für den eigenen Wert über äußere Bestätigung erfolgen. Gelingt das nicht, leidet der Selbstwert, das Ego fällt zusammen und muss künstlich aufrechterhalten werden.

Wenn das Ego die Regie übernimmt …

Das Ego – also die eigene Vorstellung von sich selbst – zu verteidigen oder gar aufzublasen, tun wir nicht grundlos. Es ist der Versuch, sich vor der Konfrontation mit seinen eigenen Schwächen, Makeln und Unzulänglichkeiten zu schützen. Vor dem, was man an sich selbst nicht wahrhaben will, was das eigene Größenselbst angreift und unseren Selbstwert negativ beeinflussen könnte. Es dient also als eine Art „Schutz“ vor unangenehmen Gefühlen. Durch ein aufgeblasenes Ego versucht man, die schmerzhaften Emotionen zu vermeiden, die entstehen können, wenn wir Rückschläge erleben, gekränkt werden oder uns nicht gesehen fühlen. Das können Scham, Frustration, Ärger oder auch Schuldgefühle sein. Und die sind manchmal, das wissen wir alle, schwer auszuhalten. 

Außerdem kann ein großes Ego auch dazu dienen, sich selbst und anderen etwas zu beweisen: wer man ist, was man kann – unterm Strich, wie großartig man ist. Das brauchen vor allem Personen, die sich stark über äußere Erfolge wie Leistung, Status oder Macht definieren.

Warum ist das so schädlich?

Im Versuch, das gewünschte Selbstbild zu verteidigen bzw. das Ego zu vergrößern, muss eine Person sicherstellen, unangreifbar und unerreichbar zu sein, unbeliebte Anteile zu vertuschen oder sogar Macht zu gewinnen. So sind Denken, Fühlen und Handeln im Sinne des Egoismus durch einen eitlen bzw. vergleichenden Blick nach außen gekennzeichnet, der darauf ausgerichtet ist, Kontrolle zu gewinnen oder irgendwie „besser“ zu sein als andere. 

Um seinen Platz zu sichern, ist man im Ego-Modus auf Kategorien von Recht und Unrecht, Macht und Ohnmacht, Dominanz und Unterwerfung, Sieg und Niederlage ausgerichtet. Das verhindert zwei Dinge: nämlich wahre Selbstanalyse und kollaborative Zusammenarbeit. 

Wer über ein unabhängiges gutes Selbstwertgefühl verfügt und authentisch ist, der hat es nicht nötig, das eigene Ego aufzublasen oder sich zu rechtfertigen, zu erklären oder zu entschuldigen. Derartige Kompensationsleistungen – seien sie positiv oder negativ – sind dann nicht nötig.

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Was hilft? Tipps zum Umgang mit dem Ego

Das Ego steht der eigentlichen Persönlichkeitsentwicklung, sprich der Auseinandersetzung mit dem Wesenskern und dem eigenen Wachstum, also eher im Weg. Um sich selbst nicht der Möglichkeit zu berauben, der Mensch zu werden, der man in der besten und authentischen Version seiner selbst sein kann, sollte man einen bewussten Umgang mit ihm finden. 

1. Sich in Selbsterkenntnis und Selbstakzeptanz üben

Wer sich selbst gut kennt und so annimmt, wie er ist, braucht sich nicht ständig um die Aufrechterhaltung oder Vergrößerung seines Egos zu bemühen. Das ist nur nötig, wenn man sich nicht traut, zu sich selbst, besonders zu den weniger glamourösen Seiten, zu stehen. Je bewusster man sich also über die eigene Persönlichkeit mit allen Anteilen ist, je authentischer man sich zeigt, desto weniger nötig hat man es, das Ego zu polieren.

2. Offen bleiben und neue Rollen ausprobieren

Erleben Sie sich auch außerhalb der Rollen, über die Sie sich vor allem definieren: Chef, Mutter, Anwältin, Berater. Wer sich aus der Rolle seiner gewohnten Position herausbegibt und zum Beispiel etwas Neues lernt, wird auch wachsen. Er wird Fragen haben und vielleicht Fehler machen. Diese Erfahrungen machen uns mitfühlender und gelassener im Umgang mit anderen Menschen und letztendlich auch mit uns selbst. 

3. Umgang mit Feedback und unangenehmer Kritik üben

Nehmen Sie die Bewertung in Bezug auf die eigene Person raus, sehen Sie Kritik nicht als persönlichen Angriff und konzentrieren Sie sich auf die Sachebene. Es ist hilfreich, zwischen Verhalten und der eigenen Identität unterscheiden zu lernen.

4.    Ehrlich mit sich selbst sein

Wenn Sie beispielsweise Schwierigkeiten damit haben, als Akademikerin zu akzeptieren, dass Ihre Tochter nicht Ärztin, sondern Schreinerin werden möchte, fragen Sie sich: „Worum geht es dabei? Habe ich wirklich Zweifel, dass das der beste Weg für mein Kind sein könnte? Oder würde ich gerne bei der nächsten Einladung bei Bekannten erzählen: ‚Unsere Tochter studiert jetzt Medizin‘?“

Wenn es mal wieder darum geht, im Recht zu sein, hinterfragen Sie sich: „Geht es mir um die Sache, oder einfach darum, recht zu haben? Weiß ich es wirklich besser, oder kann ich nur nicht ertragen, dass ein anderer sich besser mit dem Thema auskennt? Ist es wirklich so schlimm, dass ein Kollege mehr Anerkennung für seine Arbeit bekommt als ich? Wenn ja: Warum? Welche Wunde in mir wird hier berührt?“

„Ist das Jura-Studium wirklich das, was ich für den passendsten Weg zu einem erfüllten Berufsleben halte? Oder stand ‚irgendwie‘ schon immer fest, dass ich Rechtsanwalt werden soll (und stecken dahinter vielleicht verborgene Aufträge meiner Eltern)? Vielleicht geht es auch darum, dass ich selbst gerne von mir sagen möchte: ‚Ich bin Jurist.‘ Wenn das der Fall ist: Was erhoffe ich mir davon? Welche Erwartungen knüpfen sich an diese Aussage?“

Weshalb es sich lohnt, sich mit dem eigenen Ego zu beschäftigen

1. Wachsen dürfen: Durch eine übermäßige Identifizierung mit Zuschreibungen von außen wird das Selbstbild starr, wenig flexibel, Entwicklungsräume verkleinern sich oder entstehen gar nicht erst – aufgrund der Wahrnehmung „Ich bin so und nicht anders.“.

2. Entlastung durch Akzeptanz: Sich ehrlich mit seinem Bild von sich selbst, seinen Erwartungen und Ansprüchen zu befassen, macht uns freier. Denn das Ego aufrechtzuerhalten, kostet Kraft. Wäre es nicht entlastend, wenn man ab und zu mal auch sagen könnte: „Das weiß ich nicht.“ „Das kann ich nicht.“ „Ich beneide dich.“ „Ich hätte gerne, was du hast.“? Wer es schafft, auch diese Anteile in sich zu integrieren, muss weniger gegen sich und andere kämpfen. Hinter dem Ego erscheint das wahre Selbst und mit ihm die Möglichkeit, das Leben noch authentischer und selbstbestimmter zu gestalten. 

3. Unabhängigkeit: Der ehrliche Blick in den Spiegel hilft, unser wahres Selbst genauer kennenzulernen: das, was uns außerhalb von Leistung und Status ausmacht. Das eigene Selbstbild mit den vielen Fremdbildern, die einem von außen angetragen werden, abzugleichen, macht außerdem unabhängiger. Wer sich traut, genau hinzusehen, kann sich fragen: „Ist da was dran an der Kritik? Hat die Kollegin recht mit ihrem Einwand?“ Wer sich ehrlich hinterfragt und sich traut, auch die eigenen Schwächen, Schatten und blinden Flecken zu beleuchten, macht den Weg frei für innere Entwicklung. Und dann ist es gar nicht mehr nötig, sich ein großes Ego aufzublasen – das, was dahinter liegt, ist mehr als genug. 

Fazit

Bedeutet das, man soll sich selbst immer zurücknehmen, sich klein machen, nicht über eigene Stärken sprechen? Ganz und gar nicht. Es heißt lediglich, dass man alles, was der authentischen Persönlichkeit entspricht, zeigen darf – positive wie negative Eigenschaften. Außerdem geht es darum, dass man lernt zu reflektieren, an welcher Stelle die eigenen Handlungen vom eitlen Ego geleitet werden. „Will ich den Schritt auf der Karriereleiter gehen, weil die Art der Aufgaben und die Verantwortung, die ich dort hätte, besser zu mir und meinen Werten passen – oder geht es mir nur um den Titel und die daran geknüpfte Anerkennung von außen?“ Sich Fragen wie diese zu stellen, kann dabei helfen, immer wieder auf den eigenen, ganz persönlichen Weg zu kommen. Dann weiß man, dass man die Dinge nicht tut, um sich damit zu profilieren, sondern weil ein tieferer Sinn dahinter liegt. Eine gemeinsame Sache, ein größeres Ziel, für das es sich lohnt, das eigene Ego zurückzustellen. 

Je nach Persönlichkeit können schon kleine Fehler oder Niederlagen das Ego beschädigen. Die Erkenntnis, nicht überall die Klügste, der Schnellste, die Souveränste oder der Erfolgreichste zu sein, kann am eigenen Ego kratzen. Aber ist das nicht vielleicht genau das, was uns hilft, das Ego auf lange Sicht zu überwinden? Es immer wieder ankratzen zu lassen, bis das, was dahinter liegt, sichtbar wird? Wenn wir das bewusst wahrnehmen und uns in aufrichtiger Selbstbetrachtung üben, dann erkennen wir unser wahres Ich. Mit Schwächen, Makeln, unangenehmen Anteilen, unsympathischen Eigenschaften und allem, was eben zum Menschsein dazu gehört. Und können feststellen: Wir sind trotzdem wertvoll. Wir müssen nicht perfekt sein. 

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