Montag, 21. Dezember 2015

Ich bin, was ich schenke

Alle Jahre wieder kommt mit der Weihnachtszeit die Ratlosigkeit: Was soll ich nur schenken? Über die Frage des „Was“ gerät die nach dem „Warum“ vollkommen in Vergessenheit. Warum schenken wir überhaupt? Welchen Zweck erfüllen Geschenke? Fast unbemerkt, üben Geschenke soziale Funktionen aus: Sie geben Auskunft über das Selbst- und Fremdbild und die Beziehung zwischen Schenker und Beschenktem. 

Eine schlechte Nachricht für all diejenigen, die bisher dachten, am 24.12. erworbene Verlegenheitsgeschenke fielen nie auf sie zurück:  Weit mehr als über die Empfänger sagen Geschenke über ihre Geber aus. Immer und automatisch sind sie selbstreflexiv – ich bin, was ich schenke. Jeder Schenker sollte sich bewusst sein, dass er sich selbst, seine Identität, in seinem Geschenk ausdrückt. Trifft ein Geschenk den Nerv des Beschenkten, weist sich der Geber als Kenner aus. Enttäuscht ein Geschenk, tut dies auch sein Geber. Implizit wollen Beschenkte erkannt und Schenker anerkannt werden.

Richtig zu schenken, bedeutet auch, richtig zu liegen, was die Beziehung zum Beschenkten betrifft. Geschenke sind – und das lässt sich im privaten Umfeld gut beobachten – ein Gradmesser von Beziehungen. Wer das gesamte Jahr über keinen Kontakt zu einem Bekannten hatte, wird ihn Weihnachten auch nicht beschenken. Gleichzeitig können Geschenke Beziehungen aber auch (wieder)beleben, bestätigen und bestärken. Trotzdem sind sie keine Garanten, sondern vielmehr ständige Begleiter.  

„Ständig“ ist dabei durchaus wörtlich zu verstehen. Denn dem Geschenk immanent ist das Gegengeschenk. Ebenso wie es verbindet, verpflichtet es auch. Zwar müssen Geschenke nicht wie Schulden beglichen werden. Aber die Erwartung einer wie auch immer gearteten Gegenleistung steckt in jeder Gabe. Und sei es nur das gute Gefühl, etwas Gutes getan zu haben.

Wer heute noch am Fotokalender für die Familie bastelt, fragt sich vielleicht, was er sich eingebrockt hat, weiß jetzt aber warum.

Tipps fürs bedachte Schenken:

  • Ansatz: Wer ein Geschenk auswählt, in dem er sich selbst und seine Beziehung zum Beschenkten repräsentiert sieht, wird nicht danebenliegen. Erst denken, dann schenken!
  • Idee: Traditionen haben an Weihnachten Hochkonjunktur. Aber bei Geschenken? Traditionell dasselbe zu verschenken, ist wie ein Geschenk ohne Verpackung (s.u.).
  • Auswahl: Je enger die Bindung ist, umso besser sollte das Geschenk sein. So erwartet der eigene Partner schlicht, dass die Auswahl mit Liebe und Bedacht erfolgt.
  • Grenzen: Selbst wenn der Haushalt einen neuen Staubsauger vertragen könnte, degradiert er die Beziehung – zumindest als alleiniges Geschenk – auf eine Sachebene. Da hilft auch keine Schleife.
  • Qualität: Wer sich selbst in seinem Geschenk wiederfindet, wird von sich aus auf B-Ware verzichten…
  • Preis: Der Deckmantel des Schweigens lässt die Illusion am Leben. Natürlich soll der unschätzbare Wert zu erahnen, aber niemals kenntlich sein. Preisschilder sind ein absolutes Tabu.
  • Verpackung: Eine Kerze ohne Schleife ist eine Kerze. Erst mit einer Schleife wird sie zum Geschenk. So einfach, so aufwertend.
  • Extra: In Zeiten, in denen schon E-Mails nahezu antiquiert sind, wirken handschriftliche Grüße wie ein Relikt aus einer Ära der Aufmerksamkeit. Also einfach mal zum Füller greifen und ein paar nette Zeilen aufs Papier bringen. Nicht selten ist die Karte mehr als nur Beiwerk. 

Interessiert? Dann empfehlen wir dazu:
Berking, Helmuth (1996): Schenken. Zur Anthropologie des Gebens. Frankfurt/M.: Campus.
Mauss, Marcel (1990/1968): Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Übersetzt von Eva Moldenhauer. Frankurt/M.: Suhrkamp. [Original: Essai sur le don. Forme et raison de l’échange dans les sociétés archaïques. Originalement publié dans: L‘Ànnée Sociologique, seconde série, 1923-1924].
Schmied, Gerhard (1996): Schenken. Über eine Form sozialen Handelns. Opladen: Lesle und Budrich.

Zur Autorin:
Merle Lindemann hat ihr Diplom im Fach Kommunikationsmanagement abgelegt. Das Team von Struss und Partner unterstützt sie im Bereich PR und Fundraising.