Hamburger Abendblatt | Samstag, 4. August 2012

Wer es früher gut hatte, will oft etwas zurückgeben

Ein soziales Jahr fördert persönliche Reife und Pragmatismus. Unternehmen begrüßen das Engagement, etwa von Jennifer Hagedorn als Hilfslehrerin.

Drei Fremdsprachen fließend, einen hervorragenden Masterabschluss in Amerikanistik, Praktika in Dänemark, den USA und Mexiko ... Wenn Jennifer Hagedorn flink und flüssig von ihren Erfahrungen erzählt, kann man sich für die 27-Jährige gut eine Vorzeigekarriere in den Medien, der Politik oder im Marketing vorstellen.

Stattdessen gibt Hagedorn Grundschülern, die in der vierten Klasse noch kein Mengenverständnis haben oder nicht richtig lesen können, Förderunterricht in Deutsch und Mathe. An der Ganztagsgrundschule Arnkielstraße in Altona-Nord, im Auftrag der Bildungsinitiative „Teach First“ und gegen ein Monatshonorar von 1700 Euro brutto. Verglichen mit Einstiegsgehältern, die ähnlich qualifizierte Hochschulabsolventen erhalten, etwa in Unternehmensberatungen, ist das nicht üppig. Hagedorn stört das nicht. Sie wusste, worauf sie sich bei Teach First einließ: eine zweijährige Lehrtätigkeit in Vollzeit an einer Schule in einem sozialen Brennpunkt. „Ich habe die Webseite studiert, die Presse sehr genau verfolgt und auch mit anderen Programmteilnehmern gesprochen und war immer mehr überzeugt, dass das etwas für mich ist, dass ich das kann und auch für sinnvoll halte.“

Jennifer Hagedorn ist eine von über 70 Hilfslehrern, Fellows genannt, die das Programm jährlich an Brennpunktschulen in fünf Bundesländern schickt. Bewerber gibt es zehnmal so viele, alles überdurchschnittliche und gesellschaftlich engagierte Hochschulabsolventen.

Ein guter Lehrer - auch ohne Pädagogik-Studium

Diejenigen, die selbst eine gute Ausbildung genossen haben, wollen etwas zurückgeben, neue Erfahrungen sammeln und beweisen, dass sie auch mit schwierigen Menschen umgehen können. „Führende Kräfte von morgen für die Schulen von heute gewinnen“, heißt es bei Teach First.

Mit einem Mentoringprogramm unterstützen Förderer wie Lufthansa oder Deutsche Post die Fellows bei der Berufswahl, sagt Teach-First-Sprecherin Kirsten Altenhoff. Aber es sei keinesfalls Ziel der Initiative, die Top-Absolventen an die Unternehmen durchzureichen: „Wir verstehen das Interesse der Firmen und freuen uns darüber“, sagt sie. „Aber in erster Linie wünschen wir uns, dass die Fellows im Bildungssektor verbleiben.“ Beim ersten Durchlauf, der 2011 die Schulen verlassen hat, ist das gelungen: Jeder zweite Teilnehmer arbeite im Bildungsbereich.

Auch wenn nur die wenigsten tatsächlich im Schuldienst landen, die Fellows nehmen aus den zwei Jahren auf jeden Fall etwas mit: „Sie sind durch ihre Erfahrung in der Lage, schneller mit Rückschlägen fertigzuwerden als andere, weil sie gelernt haben, ihre Probleme in Relation zu echten gesellschaftlichen Nöten zu setzen“, ist die Erfahrung von Ragnhild Struss, die Schüler und Studenten bei Berufswahlentscheidungen berät.

Fachleute sprechen von Resilienz und meinen die Widerstandsfähigkeit gegenüber Störungen. Sie wird umso größer, je weiter man sich von den Annehmlichkeiten und der Erlebnisorientierung unserer Gesellschaft entfernt und beispielsweise in den Armutsviertel Lateinamerikas tätig wird.

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Aber ob Auslandsjahr, Praktikum im örtlichen Behindertenheim oder Brennpunktschule, alles ist sinnvoll, was den eigenen Horizont erweitert, ist Struss überzeugt. „Unser Denken über Berufswege ist sehr auf Abschlüsse und schnelles Vorankommen fokussiert“, sagt die Karriereberaterin.

Demgegenüber fördere ein soziales Jahr Demut, Geduld, prozessorientiertes Denken und eigne sich keinesfalls nur für Kandidaten, die einen sozialen Beruf ergreifen wollen: „Wenn jeder Investmentbanker ein soziales Jahr machen würde - ich glaube, das würde nicht schaden.“ Vorausgesetzt, er mache das aus eigenem Antrieb und nicht aus reiner Karrierestrategie: „Auf soziale Verantwortung sollte man sich am besten auch aufrichtig einlassen - alles andere wäre nicht authentisch und letztlich auch nicht von Erfolg gekrönt.“

Bedenken, dass sich ein soziales Jahr auf den „richtigen“ Karrierestart negativ auswirkt, sind in der Regel unbegründet. Viele Unternehmen begrüßen inzwischen, dass Absolventen einen Beitrag für die Gesellschaft leisten, und schätzen an Bewerbern die gereifte Persönlichkeit, die so ein Jahr mit sich bringt. Wichtig ist aber, dass Berufseinsteiger in ihrer Bewerbung nachvollziehbar begründen können, warum sie ein soziales Jahr gemacht haben und wie es sie weitergebracht hat.

Mit freundlicher Genehmigung von Deike Uhtenwoldt