KarriereWELT | Samstag, 11. Februar 2012

Der gecoachte Abiturient

Beratung suchen nicht nur Manager. Auch Schüler setzen bei Karrierefragen auf Experten.

Auf dem Tisch vor Timo Steinbrecher liegen zwei dicke, weiße Ordner. Seitenweise Informationen zu Berufen, Unis, Messen und Ansprechpartnern sind darin abgeheftet, alles zugeschnitten auf seine Person.

​„Zu Hause sehe ich mir das alles genauer an“, sagt der 17-jährige Gymnasiast. Damit endet sein Tag bei der Hamburger Karriereberatung Struss und Partner. Und der war lang. Neun Stunden voller Gespräche und Tests liegen hinter ihm - mit dem Ziel, herauszufinden, welche Ausbildung zu ihm passen könnte und was er dafür tun muss. Abschließend bespricht Karriereberaterin Ragnhild Struss die Testergebnisse: Eine gewisse Zurückhaltung und Introvertiertheit attestiert sie dem Schüler, gleichzeitig aber hohe kognitive Leistungsfähigkeit, exzellente methodische Arbeitsweise und intuitive Wahrnehmung. Ein naturwissenschaftliches Studium eigne sich, insbesondere Fächer wie Umwelttechnik, Biotechnik, Bionic oder Medizintechnik. Jura und BWL dagegen nicht. Struss macht ihren Klienten auf verschiedene Veranstaltungen, Wettbewerbe und Fachmagazine aufmerksam, die ihm weitere Anregungen liefern könnten: Unter anderem auf die Lange Nacht der Wissenschaften in Berlin, die Mathematikolympiade, diverse Stipendien, Fachmagazine wie PM und Spektrum. Zum Schluss erhält Timo Steinbrecher die beiden Ordner, ein Jahr steht ihm eine kostenlose Nachberatung offen. Für das Gesamtpaket berechnet das Unternehmen 1500 Euro.

Mit einer kostenlosen Berufsberatung von den Arbeitsagenturen geben sich immer weniger Eltern zufrieden. Und so haben sich quer durch die Republik Firmen wie Struss und Partner auf die Karriereberatung von Schülern spezialisiert. „Die Nachfrage nach privatem Coaching steigt“, beobachtet nicht nur Denis Buss, der bei der Firma Einstieg den Bereich Berufsberatung leitet. Die Erklärung dafür liegt für ihn auf der Hand: „Die privaten Anbieter haben den Luxus, individuell coachen zu können und nicht nur nach Schema F.“ Petra Kuberg bietet als Beraterin für akademische Berufe bei der Arbeitsagentur in Berlin-Neukölln die kostenlose Variante. Sie betreut fünf Schulen, die sie regelmäßig besucht. Die Schüler können sich zu halbstündigen Terminen bei ihr anmelden. „Oft beginnt es damit, Möglichkeiten und Anforderungen von Studium, dualem Studium und Ausbildung aufzuzeigen“, sagt Kuberg. Beratungen bis zu einer Stunde finden bei ihr in der Arbeitsagentur statt, zusätzlich kann sie den psychologischen Fachdienst einschalten. Psychologen machen dort Stärken-Schwächen-Analysen mit den Schülern. „Angefordert wird dies, wo es sinnvoll erscheint - etwa in zehn bis 20 Prozent der Fälle“, schätzt Kuberg. Passgenau und individuell - damit werben die Privaten und setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte. Die Personalberatung Dr. Vossen durchleuchtet in acht bis zehn Stunden Intelligenz, Neigung und Persönlichkeit. Dazu kann auch gehören, dass Schüler an der Staffelei ein Herrenfahrrad malen, um Spontaneität und Kreativität zu zeigen. Andere spielen ein Stück auf dem Klavier vor. „Unsere Beratung ist sehr persönlich angelegt“, sagt Vossen. Dabei gehe es nicht nur um den richtigen Beruf, sondern um den Menschen selbst. Ähnlich sieht das Karriereberaterin Ragnhild Struss von Struss und Partner: „Wir wollen, dass unsere Kunden sich selbst reflektieren und sich danach etwas zutrauen.“

Die Firma Einstieg, die auch Messen für Ausbildung und Studium in acht deutschen Städten veranstaltet, organisiert neben fünfstündigen Einzelcoachings für 650 Euro auch Gruppen-Workshops in vielen deutschen Städten. „Etwa vier Teilnehmer entwickeln gemeinsam Ideen“, sagt Denis Buss. Die Rückmeldung der anderen könne dabei durchaus ein Gewinn für alle sein. Ein Coach lenkt Diskussionen und Fragestellungen. Kostenpunkt: 190 Euro.

Firmen wie Campusmondi in Berlin oder Töchter und Söhne in Wiesbaden haben einen anderen Fokus. Zwar helfen auch sie bei der Studienwahl. Ihre Leistung besteht jedoch vor allem darin, die passende Hochschule zu finden und Abiturienten bei der Bewerbung zu unterstützen. Die Beratung kostet 1000 Euro aufwärts. „Viele wissen ziemlich genau, was sie später machen möchten, wir zeigen den optimalen Weg dahin auf“, sagt Detlef Kulessa von Töchter und Söhne. Dabei verfüge die Firma über die nötige Expertise und Kontakte. Ob staatlich oder privat, Masseninstitut in der Metropole oder kleine Hochschule in der Provinz: „Wir kennen auch das internationale Studienangebot in der Schweiz, in -sterreich, England und Nordamerika sehr genau“, so Kulessa. In Oxford oder Cambridge etwa arbeite man direkt mit Kollegen vor Ort zusammen. Auch besondere Vorkenntnisse und Erfahrungen können bei der Wahl der Universität eine Rolle spielen. „Wer schon mal ein halbes Jahr in Spanien war, dem kann ich sofort sagen, welche Universitäten mit spanischen Hochschulen kooperieren“, sagt etwa Matthias Trüper von Campusmondi. Auch zu dualen Studiengängen liefert der Coach detaillierte Informationen. Zudem klopft er das gewünschte Studienfach auf Chancen am Arbeitsmarkt und Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Fächern ab.

Seine Kontakte würden anschließend auch beim Bewerbungsverfahren helfen, sagt der Berater. „Ich rufe wenn nötig auch bei einem amerikanischen College an, das können die Arbeitsagenturen natürlich nicht leisten“, sagt Trüper. Grundsätzlich ist sein Coaching langfristig angelegt: auf ein Vierteljahr bis zu eineinhalb Jahre. „Spätestens ein Jahr vor dem Abitur sollten die Schüler sich das erste Mal beraten lassen“, findet Matthias Trüper. Schon weil Bewerbungen für Universitäten etwa in den USA oder Kanada einen Vorlauf von einem Jahr haben könnten. Der Erfolg der Beratung hänge immer auch vom Zeitpunkt ab. „Wer erst nach dem Abitur kommt, für den kann ich oft nur noch Krisenintervention leisten.“

Mit freundlicher Genehmigung von Bettina Brüdgam