Dienstag, 7. Juni 2016

Die Qual der Wahl

Bei mehr als 6700 Bachelor-Studiengängen fällt die Entscheidung für den passenden Studiengang nicht immer leicht. Für viele sind besonders Fächer attraktiv, die eine steile Karriere und hohe Gehälter versprechen. Doch auch exotische Fächer können die richtige Entscheidung sein.

Von Lara Sogorski

Eins ist für Hannes Ortmeier schon heute klar: Später möchte er auf jeden Fall in einer Führungsposition arbeiten, auch mit Mitarbeiterverantwortung. In welcher Branche und auf welchem Gebiet kann der 23-Jährige zwar noch nicht genau sagen. Aber darüber macht er sich zumindest bislang keine großen Sorgen. Mit seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin fühlt er sich auf einem guten Weg. Er ist sich sicher, damit am Ende viele Einstiegsmöglichkeiten offen zu haben. Sogar die Aufgabe des Geschäftsführers kann er sich vorstellen. "In diesen Positionen verdient man natürlich auch gut. Die Bezahlung stand für mich bei der Wahl des Studienganges aber nicht im Vordergrund", sagt Ortmeier.

Frau liegt im Bett und strampelt mit ihren Beinen
Viele Optionen, viele Fragen: Oft wissen Abiturienten nicht, welche Kriterien sie für die Entscheidung anlegen sollen.

Nach dem Abi an die Uni - doch was bloß studieren? Für viele junge Leute gibt es spätestens mit dem Abschlusszeugnis in den Händen keine drängendere Frage. Immerhin mehr als 6700 Bachelorstudiengänge stehen in Deutschland zur Auswahl. Klar ist: Mit einem guten Studium sind später vielfältige Karrierepfade möglich. Dabei gelten bei einer Mehrzahl der angehenden Studierenden oft die Fächer als besonders attraktiv, die international ausgerichtet sind und auch gesellschaftlich eine hohe Anerkennung genießen wie Jura oder Medizin, weiß Veronika Latzel, Geschäftsführerin bei der Karriereberatung Struss und Partner in Hamburg. "Wenn von Beginn an eine Jobgarantie wichtig ist, kann man sich daran orientieren, wie hoch die Nachfrage am Arbeitsmarkt ist und wie zukunftsträchtig eine Branche erscheint", sagt die Expertin. Beides treffe unter anderem auf das Ingenieurwesen und die Informatik zu.

Auch über die spätere Bezahlung machen sich viele schon am Anfang Gedanken. "Wer statusorientiert ist, wird nach einem Studium Ausschau halten, das die Ausgangsbasis für ein hohes Gehalt bildet, wie zum Beispiel International Management", weiß die Karriereberaterin. Auch BWL, insbesondere mit den Fachrichtungen Controlling, Rechnungswesen und Logistik, gilt als attraktiv, wenn später eine überdurchschnittliche Bezahlung sowie eine steile Karriere im Vordergrund stehen. Ebenso Mischstudiengänge wie Wirtschaftsingenieurwesen oder Wirtschaftsinformatik sowie technische und naturwissenschaftliche Fächer.

Chemie und Verfahrenstechnik vorne

Wo Absolventen das höchste Einstiegsgehalt bekommen, hat unter anderem das Staufenbiel Institut in Zusammenarbeit mit dem Portal Gehalt.de Anfang des Jahres ermittelt und daraus ein Ranking erstellt. Demnach liegen Ingenieure im Bereich Chemie und Verfahrenstechnik mit einem Anfangsverdienst von knapp 65000 Euro im Jahr an der Spitze. Auf den Plätzen zwei bis fünf folgen Controller, Wirtschaftsjuristen in der Automobilindustrie, Produktmanager mit naturwissenschaftlichem Studium und IT-Experten, insbesondere in der Luft- und Raumfahrt.

Geht es nach der Beliebtheit von Studiengängen unter den jungen Leuten, steht Betriebswirtschaftslehre sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern ganz oben auf der Liste. Wie Hannes Ortmeier versprechen sich die meisten damit kaum Einschränkungen bei der späteren Berufswahl. "BWL gilt bei vielen jungen Leuten als sehr attraktiver Studiengang, weil es einem grundsätzlich die Türen in sehr verschiedene Richtungen aufhält", bestätigt Laufbahnberaterin und Karrierecoach Maja Skubella. Möglich seien beispielsweise Jobs in den Bereichen Unternehmensberatung, Logistik, Personalwesen, Controlling, Rechnungswesen oder Marketing. "Allerdings ist der Studiengang deshalb auch stark überlaufen. Das heißt, es gibt viele Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt, und ohne spezifische Praxiserfahrung steht man am Ende des Studiums auch nicht viel besser da", warnt die Beraterin.

Davon ist auch Ortmeier überzeugt. Mittlerweile studiert er bereits im fünften Semester, von insgesamt sieben. Von Beginn seiner Studienzeit an hat er sich als Ziel gesetzt, so viel praktisches Wissen wie möglich zu sammeln. Gleich im zweiten Semester fing er deshalb an, sich in der studentischen Unternehmensberatung BCPro e.V. zu engagieren, die mit der HTW partnerschaftlich verbunden ist. Im vergangenen Jahr übernahm er hier den Vorsitz. Zudem trat er dem Beirat des Bachelor-Studiengangs BWL bei, absolvierte ein längeres Praktikum bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und ist aktuell bei BMW als Praktikant im Controlling beschäftigt.

"Wer BWL studieren will, sollte grundsätzlich schon wissen, wohin die Reise am Ende gehen kann. Ich erlebe bei vielen Kommilitonen, dass sie noch gar keine richtige Vorstellung haben und sich deshalb für BWL entschieden haben", berichtet der 23-Jährige. So nutze man die Studienzeit aber nicht wirklich effektiv. Wichtig sei vor allen Dingen, neben der Praxiserfahrung berufliche Kontakte zu knüpfen und sich damit ein Netzwerk aufzubauen. "Nur so kann man sich am Ende auch von den vielen anderen BWLern auf dem Markt differenzieren."

Gehalt und Status sind nicht alles

Ausschnitt eines Mannes im blauen Anzug
Für eine nachhaltige Entscheidung sollten externe Faktoren wie das Gehalt eine untergeordnete Rolle spielen.

Generell sollten sich angehende Studierende nicht zu stark von Status und Gehalt beeindrucken lassen. "Wer nachher im Beruf langfristig zufrieden sein will, sollte die Lohnvorstellung nicht so weit nach oben stellen, sondern innere Faktoren in den Fokus rücken und sich fragen: Wo kann ich mich persönlich entfalten? Für welches Thema brenne ich? In welcher Umgebung lerne ich am besten?", rät beispielsweise Latzel. Denn am Ende hänge es von der Persönlichkeit jedes Einzelnen ab, ob ein Studiengang attraktiv ist, fügt Skubella hinzu. Einige hätten beispielsweise eine Leidenschaft für eine bestimmte Tätigkeit, wobei die Bezahlung häufig kaum eine Rolle spiele. "Attraktiv für diese Gruppe sind oft kreative Studiengänge wie Designwirtschaft mit den Richtungen Industriedesign, Produktdesign oder Kommunikationsdesign, Fotografie und Innenarchitektur", so die Expertin.

Auch Nischenfächer oder "Orchideen-Fächer" können attraktiv sein, wenn man eine hohe Ideal- und Sinnorientierung mitbringt. Möglichkeiten sind hier unter anderem Gender Studies, Sprachwissenschaften oder Friedens- und Konfliktforschung, Ökotrophologie, Computer-Interaktion oder Alterswissenschaften. Auch damit gibt es gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, sagt Skubella. "Bei solchen Fächern lohnt es sich immer, zu schauen, wie ausbaufähig es im Einzelnen ist und welche Weiterbildungen es gibt." Allerdings sollte man nicht vergessen, so Latzel: Je ungewöhnlicher das Fach, desto mehr Eigeninitiative ist gefragt, um sich ein Arbeitsfeld zu erschließen. "Studenten müssen sich in Praktika orientieren und Anwendungsbereiche für ihr Wissen finden."

Frankfurter Allgemeine Zeitung, erschienen am 7.6.2016, Autorin: Lara Sogorski. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.